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Archiv-Artikel

Backenund beten

AUS SCHWANTE ANJA MAIERUND ROLF ZÖLLNER (FOTOS)

„Schalom! Bethlehem liegt da hinten“, sagt der Wächter. „Fahren Sie vorsichtig, der Weg ist matschig.“ Mit dem Finger weist er den Acker entlang, sein um den Kopf gewundenes blaues Tuch ist etwas verrutscht. Autofahrer aus Brandenburg lassen sich von dem Jugendlichen mit Zopf und Bart einweisen. In jedem Auto sitzt hinten mindestens ein Kind, orientalisch kostümiert.

Hundert Meter weiter, da, wo fünfhundert Schafe weiden, liegt Bethlehem. Es gehört zum Sommerspektakel, das der Bäckermeister Karl-Dietmar Plentz hier auf dem brandenburgischen Acker, 30 Kilometer von Berlin entfernt, mit organisiert hat. Letztes Jahr hat er Kinder das berüchtigte Inselgefängnis von Alcatraz nachspielen lassen. „Born to be free“, lautete das Motto. In diesem Sommer heißt es: „Camp David – David gegen Goliath“. Plentz macht das als einer von sieben Ältesten der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde Schwante, die Zehn- bis 13-Jährige missionieren will. Plentz sagt: „Ich freue mich riesig.“

Seine dunklen Haare sind feucht vom Schweiß. Denn wie durch göttliche Fügung hat – nach einer Woche Dauerregen – das Wetter gewechselt: Binnen zwei Stunden sind aus 16 Grad 26 geworden. Plentz’ breite Brust steckt in einem Schuppenpanzer, die Schienbeine in goldfarbenen Schützern, die kräftige Rechte hält den Speer. Trüge der hochgewachsene Mann nicht moderne Wanderschuhe – das Bild von Joab, dem Heerführer König Davids aus biblischen Zeiten, wäre perfekt.

Plentz ist ein inspirierter Perfektionist, einer, der seine Religiosität gern in griffige Bilder packt, der für seinen Hang zum Verkleiden, seine unkonventionellen Geschäftsideen, seinen Erfolg und seine immer währende gute Laune eine kleine Berühmtheit ist hier im Landkreis Oberhavel.

Schafe und Champagnerbrot

„Backen und beten“, lautet Plentz’ Devise. Er ist einer von sieben Vorstehern der Schwantener Brüdergemeinde – wiedergeborener, sehr bibeltreuer Christen. Er ist Bäckermeister und beschäftigt 60 Angestellte. Er gewinnt Preise auf der Grünen Woche, in diesem Jahr für sein Champagnerbrot, sogar die Zeitschrift Feinschmecker empfiehlt ihn. Er ist Vater von fünf Kindern, verheiratet mit seiner Jugendliebe. Er lebt noch heute mit seinen Eltern unter einem Dach. Er ist ein Glückseliger im Brandenburger Land, das kann man getrost sagen. Und er hat den Drang, reichlich von seinem Glück abzugeben.

Extra für diesen Tag, für diesen Ort, für die Begrüßung der 109 Kinder, für ihre Eltern und die 60 Betreuer hat er eine Schäferin ihre 500 Schafe hierher führen lassen. „Weil David doch Hirte war.“ Er hatte sich das schön ausgemalt: wie der unscheinbare David zum König gesalbt wird, während die Schafe blökend die Szenerie umkreisen. Aber die Tiere sind nun, da die Wiese voller Menschen ist, in die hinterste Ecke ihres Gatters geflohen. Kein Blöken, kein Wimmeln.

Aber Plentz lässt sich nicht verdrießen. Nach der Vorstellungsrunde entert er die Bühne. „Auf, auf!“, ruft Heerführer Joab, „unser Weg ist noch weit! Lasst uns vorher beten.“ Ein Jugendlicher spricht ein kurzes Gebet ins Mikrofon. Viele Kinder blinzeln verständnislos, ihre Eltern schauen den Mitgliedern der Brüdergemeinde stumm und interessiert beim Beten zu. Brandenburg ist auch 15 Jahre nach dem Ende der DDR recht gottlos. Das will die Brüdergemeinde ändern.

Plentz umklammert während des Gebets seinen Speer, er schließt die Augen, senkt das Haupt – und lächelt. Er weiß, dass das Abenteuer jetzt beginnt. Erst morgen werden die Kinder auf der Insel im Mühlensee ankommen, wo sie den Rest der Woche verbringen. Auf der Wanderung dorthin werden sie den Philistern begegnen, im Kampf gegen Goliath eine starke Gemeinschaft werden. „Sie werden immer wieder erleben“, sagt Plentz, „dass unser Gott uns hilft.“ Allein heute – es ist mittlerweile 16 Uhr – müssen sie noch elf Kilometer wandern bis zu ihrer vorbereiteten Schlafstatt im Wald. „Das schmiedet zusammen.“

Alles ist für die Kinder vorbereitet: das Zeltlager auf der Insel, die Fähre hinüber, Goliaths Steinschleuder, drei Mahlzeiten am Tag und viele Gespräche über Gott. Gebetsgruppen, Gottesdienste, Bibellesungen, Liederabende, Rollenspiele – ein volles Programm für nur 80 Euro Elternbeitrag. Die Schwantener Brüdergemeinde macht das schon im achten Jahr so – erfolgreich. Obwohl sie nur 200 Mitglieder hat, baut sie gerade ein Gemeindehaus für bis zu 600 Menschen. Im September zieht sie vom viel zu kleinen Gebetshaus gleich hinter Bäcker Plentz’ Wohnhaus dorthin. Die Freikirche bewegt was im Dorf.

Plentz will Mut machen, will missionieren. Als wiedergeborener Christ ist das sogar seine Pflicht. Im Stammhaus seiner Bäckerei gibt es nicht nur Erdbeerschnitten, Kartoffelbrot und Hefekuchen. Peter Hahnes „Schluss mit lustig“ wird auch angeboten. Das Buch im Regal neben dem Verkaufstresen kostet 9,95 Euro. Die Broschüre „Abtreibung. Wer bestimmt, wer leben darf?“ gibt es umsonst. Von seinen Eltern hat Plentz „beten gelernt“. Aber „nicht den Glauben geerbt. So was kann man nicht erben.“

Christen und Bäcker – in der DDR musste die Familie, die seit 1877 in Schwante bäckt, anecken. Selbstständige Handwerker galten als politisch unzuverlässig. Wohl auch deshalb wurde Karl-Dietmar, das jüngste Plentz-Kind, Anfang der 80er-Jahre nicht zum Abitur zugelassen. „Und das, obwohl ich mit ‚sehr gut‘ abgeschlossen habe, sogar in Staatsbürgerkunde eine Eins hatte“, erzählt Plentz. „Nur in Bio hatte ich eine Zwei, ich hatte doch erhebliche Probleme mit der Evolutionslehre.“

Es sind solche Sätze, an denen sich Plentz’ Festigkeit im Glauben, seine für einen modernen, erfolgreichen Geschäftsmann manchmal überraschende Sicht auf die Welt festmachen lässt. „Ich versuche, authentisch zu sein“, sagt er und lächelt.

Manchmal spürt er auch, dass er ein wenig übertreibt. Beim Sommerlager im letzten Jahr erschuf die Gemeinde im Mühlensee die kalifornische Gefängnisinsel Alcatraz. Es gab Häftlingskleidung, einen Wachturm und einen morgendlichen Appell. Plentz war der Lagerkommandant. Als er einmal spürte, „das wird jetzt doch zu strong für die Kinder“, habe er kurz entschlossen verkündet, der Lagerkommandant habe heute Geburtstag. Kuchen für alle!

Wenn Plentz heute, ein Jahr nach Alcatraz, durch Bethlehem stapft, spürt man, dass er diese Versöhnung braucht. Fast jeden Teilnehmer kennt er hier beim Namen, jede Frage der Eltern beantwortet er freundlich, viele Kinder duzen ihn.

Ein authentischer Christ zu sein, heißt für Plentz zum Beispiel, einer jungen Auszubildenden, die schwanger wird, Mut zum Kind zu machen, den Ausbildungs- und Schichtplan nach ihrem Bedarf zu regeln. „Abtreibung ist für mich Mord“, sagt er, „diese Frauen brauchen und kriegen meine Hilfe.“

Hieß ein authentischer Christ zu sein auch, mit der Gemeinde zum Karfreitag 2005 das Kino der nahen Kreisstadt zu mieten und Mel Gibsons blutrünstigen Film „Die Passion Christi“ bei freiem Eintritt zu zeigen? „Ein umstrittener Film, ich weiß“, sagt Plentz. „Ich hatte im Kino ganz schön was wegzuatmen. Aber es war rappelvoll, und wir haben danach Gespräche und christliche Literatur angeboten.“

„Die sind einfach gut drauf“, sagt Thomas Gandow, Sektenbeauftragter der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg. „Die missionieren, wo Familien Probleme haben, machen eine super Kinderarbeit, vor allem im Osten.“ Dass innerhalb der Freikirche gerade die Brüdergemeinden Scheidung oder Homosexualität scharf verurteilen, dass die Frauen nicht „Zeugnis ablegen“, also nicht predigen dürfen, nennt Gandow eine strikte Ordnung: „Wenn man die Brüdergemeinden im Ganzen sieht, gibt das ein buntes Bild, aber eigentlich denken die fundamentalistisch.“

Karl-Dietmar Plentz bestätigt gern, dass laut der Bibel Frauen und Männern unterschiedliche Aufgaben zugedacht seien: „Männer tragen die Verantwortung“, sagt der Vater von vier Töchtern, „natürlich mit Liebe gekoppelt.“ Frauen trügen aber auch Verantwortung: in der Kinder- und Jugendarbeit, in der Küche und in den Hauskreisen, wo man gemeinsam die Bibel studiert. Man sehe es auch gern, wenn die Frauen der Gemeinde die Haare lang tragen.

Noch nicht reife Frauen

Petra Nieschick, die Haare zum Zopf gebunden und seit bald zwanzig Jahren mit dem Ehepaar Plentz befreundet, empfindet die Rolle der Männer in der Gemeinde als „Schutz“. Außerdem, sagt die 42-Jährige, „tragen wir die Entscheidungen unserer Männer im Gebet mit.“ Ihr Mann Christian, der in seiner Jugend noch bei Plentz senior Bäcker gelernt hat, hält die Zeit für Mitsprache der Frauen „noch nicht für reif“. Noch nicht ist nicht nie.

Petra Nieschick hat eine schöne und anstrengende Woche vor sich: Sie betreut auf der Insel im Mühlensee den Morgengebetskreis. Zur gleichen Zeit, wenn in Schwante die Bäckerei Plentz ihr bestes Geschäft macht. Wenn Handwerker im Firmensprinter vorfahren – „drei Hackepeterschrippen bitte“ – und Frau Müller ihr halbes Kastenweißbrot kauft, so wie alle zwei Tage. Der Chef wird nicht da sein. Backen und beten, das klappt diese Woche nicht. Nur beten.