: Ankläger hinter Gittern
Akbar Gandschi, inhaftierter Journalist im Iran, ist seit über einem Monat im Hungerstreik
VON BAHMAN NIRUMAND
Er ist inzwischen weltweit bekannt. Seit über einem Monat befindet er sich im Hungerstreik. „Mit jedem Tag, der vorbeigeht, nähert er sich um einen Schritt dem Tod“, sagt seine Anwältin, die Friedensnobelpreisträgerin Schirin Ebadi. „Alle unsere Versuche, ihn freizubekommen, sind bisher gescheitert.“ Die Rede ist von Akbar Gandschi, inhaftierter iranischer Journalist.
Gandschi war nach seiner Teilnahme an einer von der Heinrich-Böll-Stiftung im April 2000 in Berlin veranstalteten Irankonferenz in Teheran verhaftet und in einem Schauprozess zu 10 Jahren Haft und 5 Jahren Verbannung verurteilt worden – wegen Propaganda gegen den Gottesstaat, Gefährdung der Staatssicherheit und Beleidigung der Staatsführung. Neben ihm wurden weitere sieben der insgesamt vierzehn Teilnehmer zu drei bis fünf Jahren Haft verurteilt. Sie haben ihre Strafe inzwischen abgesessen. Gandschis Urteil wurde später zu sechs Jahren Gefängnis revidiert. Während seines nun mehr als fünfjährigen Gefängnisaufenthalts wurde er nachweislich des Öfteren gefoltert. Er leidet schon seit längerer Zeit unter schwerem Asthma und starken Rückenschmerzen. Auch seine Sehfähigkeit ist erheblich geschwächt. Er braucht dringend gründliche ärztliche Behandlung außerhalb des Gefängnisses.
Gandschi gehört zu jener jungen Generation, die zu Beginn der Revolution vor 26 Jahren mit großer Begeisterung dem Ruf von Ajatollah Chomeini zur Gründung eines islamischen Staats gefolgt war. Eine Zeit lang diente er sogar als Leibwächter des Revolutionsführers. Doch wie die meisten Intellektuellen kehrte er nach einigen Jahren enttäuscht dem Gottesstaat den Rücken. Er studierte Soziologie, arbeitete als freier Journalist und wurde schließlich Herausgeber der Wochenzeitung Rah-e no (Neuer Weg). Das Blatt bildete ein Forum der religiösen Aufklärer, das sich insbesondere mit dem Verhältnis von Islam und Moderne beschäftigte. Es wurde nach kurzer Zeit verboten.
Später schrieb Gandschi für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften. Zur Berühmtheit gelangte er durch seine Bücher, in denen er unter anderem die Hintergründe der staatlichen Mordattentate gegen Dissidenten, insbesondere die so genannten Kettenmorde, bei denen 1999 ein Politikerehepaar, zwei Schriftsteller und ein Journalist ermordet wurden, aufdeckte. Sein Buch mit dem Titel „Die rot gekleidete Eminenz und die grauen Eminenzen“, in dem er die Intrigen des mächtigen ehemaligen Präsidenten Haschemi Rafsandschani entlarvte, wurde zum Bestseller. Rafsandschani ist seitdem der am meisten verhasste Politiker des Landes. Gandschis Aufklärungsarbeit und seine unnachgiebige Kritik an den Machthabern waren wohl der eigentliche Grund für das ungewöhnlich harte Urteil. Aber er ließ sich nicht einschüchtern. Im Gefängnis verfasste er ein „Manifest“, in dem er genau nachweist, warum ein islamischer bzw. ideologiebehafteter Staat zwangsläufig zur Diktatur führt. Er fordert deshalb die Trennung von Staat und Religion und die Gründung einer säkularen Republik.
Ende Mai wurde Gandschi nach massiven Protesten aus dem In- und Ausland und einem elftägigen Hungerstreik zu ärztlicher Behandlung freigelassen, allerdings nur für eine Woche. Wieder in Haft setzte er seinen Hungerstreik fort. In einem offenen Brief berichtete er von erschwerten Haftbedingungen. Er sei in einer Einzelzelle eingesperrt, er dürfe nicht telefonieren, keine Besuche empfangen, keine Bücher oder Zeitungen lesen. Auch der Hofgang sei ihm untersagt. „Seid sicher“, schrieb er. „Ich werde meinen Hungerstreik so lange fortsetzen, bis ich mein Ziel erreicht habe. […] Mein gebrochenes Antlitz und mein verunstalteter Körper widerspiegeln das wahre Gesicht der Islamischen Republik. Sie widerlegen die Behauptungen des Systems, gerecht zu sein, und bestätigen das Unrecht, das dieser Staat permanent ausübt.“
„Wir werden uns von Gandschi nicht unter Druck setzen lassen“, sagt der Stellvertreter des Teheraner Staatsanwalts, Mahmud Salarkia. Der Hungerstreik richte sich gegen den Gefangenen selbst, denn dafür werde er mit Besuchsverbot und Verlegung in eine Einzelzelle bestraft.
Gandschis Frau, Masumeh Schafiie, erklärte in einem Interview mit der BBC, man habe ihren Mann aufgefordert, seine kritischen Äußerungen gegen den islamischen Staat und die Staatsführung öffentlich zu widerrufen. Andernfalls werde man nicht nur sein Gesuch auf Freilassung ablehnen, sondern ihn nach Ablauf der sechsjährigen Haftzeit erneut durch ein Urteil mit langjähriger Haft bestrafen.