: Und dann Galopp
PLANWAGEN Eine Fahrt mit den Kaltblütern Berta und Emilio durch die Elbtalauen: hinten wird geprostet, vor uns liegt die Landschaft, und die Zeit verlangsamt sich
VON ARNE SCHRADER
Ein Wiehern, Hufescharren und unruhiges Zucken, am Himmel türmen sich Wolken, der Wind pfeift. Es holpert. Die Hand des Reiters raschelt unruhig. Fehlen nur noch die über den Schotterweg rauschenden Heuballen. Ein ungleiches Duell wird das. Eines, das wir verlieren.
Denn unsere beiden Pferde scheuen, hadern mit dem Reiter, der uns entgegenkommt. Gemütliche Kaltblüter, keine stolzen Araberhengste. Und das hier ist auch nicht die Wüste von Oklahoma, sondern die Elbtalaue in der Region um Lüneburg. Mein Kutscher heißt Andreas Groothoff.
„Rechts haben wir Berta, zehn Jahre, eine Stute“, erklärt der 58-Jährige. „Und der sich hier auf der linken Seite ein wenig ziert, das ist Emilio. Beides deutsche Kaltblüter, reinrassig.“ Er klingt ein bisschen wie ein Ansager bei einem Boxkampf. Immer wenn er erklärt, schrubbeln die Finger seiner rechten Hand leicht aneinander, unaufhörlich, als suche er händeringend nach Worten. Seine Stimme ist tief, bedacht und angenehm. Manchmal stottert er ein wenig.
Groothoff trägt eine blassgrüne Schirmmütze, sein Schnauzer hat vereinzelte graue Haare, ebenso die Augenbrauen. Seine Haut ist sonnengegerbt, die blauen Augen wach, den Händen sieht man an, dass viel auf seinem Hof zu tun ist. Eigentlich war Groothoff Tischlermeister, doch dann wurde er krank, eine Staubüberempfindlichkeit, er konnte nicht mehr weitermachen. „Früher habe ich nebenbei viel Reitsport getrieben, bis zu den Landesmeisterschaften.“ Die Fahrten sind für ihn die zum Beruf gewordene Passion.
Es ist sein Planwagen, auf dem wir sitzen. Die Verkleidung aus braunem Holz, zusammengezimmerte Planken, von einer Zeltplane überdacht. Mit Fenstern aus Plastik an den Seiten, nach vorne und hinten offen. Seit 1995 bietet Groothoff Touren an, in Kooperation mit anderen lokalen Reiseveranstaltern und Unternehmen. Heute geht es mit einer elfköpfigen Truppe Seniorinnen von der Arbeiterwohlfahrt in das Biosphärenreservat. Auch wenn das Aufsteigen auf den Wagen zum Teil nur mit helfenden Armen und einem kleinen Hocker zu bewältigen war, größtenteils sind die Damen durchaus noch rüstig und bei bester Laune. Es gibt in Alufolie eingewickelten Apfelkuchen, in den Taschen klirren ein paar Flaschen, Plastikbecher lugen hervor. Manche wohnen schon ihr ganzes Leben in Bleckede, unserem Startpunkt.
Und so sitzt Groothoff vorne auf dem Kutschbock und erklärt eher leise die behutsam vorbeiziehende Umgebung, erzählt Geschichten, die sonst wohl längst in Vergessenheit geraten wären. „Das hier ist die Bleckeder Hauptstraße, gerade ist Schützenfest, daher die Wimpel überall an den Fachwerkhäusern. Die Ältesten haben 450 Jahre hinter sich, oft steht an den Inschriften die Jahreszahl.“
Die Stadt wirkt, als hätten die Bewohner alles extra für uns hergerichtet. Die Autos fahren an den Rand, die Kutsche ist zu breit für die Fahrspur. Die Fußgänger drehen sich um, halten an, stehen still am Rand und beobachten uns, die Attraktion. Wir bahnen uns unseren Weg, biegen ab, in die nahe gelegenen Wälder und ins Reservat. Straßen werden Sandwege, die weite Landschaft wirkt endlos. Einzig ein paar Plastiktüten und eine Mofa zeugen noch von Zivilisation.
Es wird ruhiger. Das regelmäßige Klackern der Hufe, das Aneinanderreiben der Finger, der leichte Wind und das sanfte Gepolter lullen ein. „Proost!“, tönt es da hinter uns. „Prost, Prost, Prost, nu’ geiht das wieda los“, stimmen die anderen Damen ein. Aus dem Anfangsgemurmel ist herzhaftes Lachen geworden, der Likör scheint zu schmecken.
Mit sechs bis sieben Stundenkilometern geht es voran. Vorbei an Rotklee, Weidenbaumplantagen und immer wieder an Maisfeldern. Zitronenfalter schwirren durch die Luft, eine Krähenschar flattert davon, aufgeschreckt durch das Hufgetrappel. Denn es geht im Galopp den Deich hinauf, durch die Seniorinnen geht ein Raunen, „Jetzt aber festhalten“, ist zu hören.
Oben offenbart sich ein Panorama: Die Elbe windet sich durch ein Meer aus kleinen, bewachsenen Inseln, die Wiesen verschwinden blühend am Horizont, irgendwo startet ein Graureiher und legt sich in den Wind. Graugänse aus Skandinavien watscheln durchs Gras. Wir fahren in das Biosphärenreservat, die Damen in meinem Rücken haben mittlerweile zu Singen begonnen. Irgendetwas auf Plattdeutsch.
Herr Groothoff hatte lange geschwiegen, nun erzählt mir wieder etwas, ich höre nicht genau hin. Stattdessen macht sich eine tiefe Entspannung breit. Ich fühle mich alt und unglaublich wohl dabei.
Ein Hase hoppelt vor uns über den Weg, ein Baumstamm sieht aus wie ein frisch angespitzter Bleistift. „Das waren die Biber“, sagt Herr Groothoff „Aus ihren Drüsensekreten kann man übrigens Heilmittel machen … und Schnaps!“ Er greift hinter sich, drückt mir einen Flachmann in die Hand. „Hier, den schenke ich Ihnen.“ Ich schaue auf das Etikett: „Bibergeil“, in dunkelblauen Lettern. Mit dem Likör in der Hand geht es nach Bleckede zurück, hinein in eine bedrohlich aussehende Wolkenkulisse.