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Archiv-Artikel

Das trottelige Landei spielen

FOLK Er war ein Hobo, ein Aufklärer, ein Protestler. Heute wäre der einflussreiche Songwriter Woody Guthrie 100 Jahre alt geworden. Eine neue Biografie erzählt seine Geschichte

VON FATMA AYDEMIR

God Bless America“ schallt im Winter 1940 aus jeder Jukebox, als Woody Guthrie auf dem Weg nach New York, der modernsten Stadt der Welt, ist. Angesichts des drohenden Kriegs in Europa appelliert Sängerin Kate Smith mit der hypernationalistischen Hymne an den Patriotismus ihrer Mitbürger.

Doch der melodische und textliche Pathos des Songs verstört den selbst ernannten Hillbilly Guthrie gerade aufgrund der weltpolitischen Lage und des Elends der aus allen Nähten platzenden Metropole New York. In einem billigen Hotelzimmer schreibt er seine eigene, rohe Version der Hymne und nennt sie: „This Land Is Your Land“.

Die säkularen Folksongs von Woody Guthrie gelten unumstritten als Vorbild für die Protestsongbewegung der 60er Jahre sowie für Bob Dylan und für The-Clash-Sänger Joe Strummer. Der Singer-Songwriter Billy Bragg sieht den Antifaschisten Guthrie sogar als Vordenker des Punk. Am 14. Juli dieses Jahres wäre Woody Guthrie 100 Jahre alt geworden. Zu diesem Anlass veröffentlicht die Journalistin Barbara Mürdter die Biografie „Woody – Die Stimme des anderen Amerika“, in der die widersprüchliche Figur des Sängers anhand von früheren Biografien und Zeitzeugeninterviews kritisch aufgearbeitet wird.

Guthrie, der sich selbst stets als „einfachen Mann“ vom Land inszenierte, stammt eigentlich aus der Mittelklasse und war Sohn eines Landspekulanten und konservativen Lokalpolitikers aus Oklahoma. Bei seinen Roadtrips quer durch die USA legte Woody Guthrie erst durch eigene Erfahrungen nach und nach rassistische und kleinbürgerliche Denkweisen ab, die in der ländlichen Kleinstadt kaum hinterfragt wurden. Die Autorin Barbara Mürdter verfolgt Guthrie auf seinem Weg der Politisierung und schafft es, den Werdegang des Musikers ungezwungen mit dem gesellschaftlichen Geschehen zu verflechten.

Als Folge der Weltwirtschaftskrise und der verheerenden Dürreperiode zogen Dutzende verarmte Bauern mit ihrem letzten Hab und Gut über die Route 66 als Wanderarbeiter gen Westen, was zu enorm hohen Arbeitslosenquoten führte. Guthrie war kein Bauer, doch er reiste mit.

In Mürdters Biografie erscheint er nicht als mythischer Held, sondern vielmehr als romantischer, aber fragwürdiger Idealist, der seine Lebensaufgabe darin erkannte, anderen Menschen zu helfen, sich um die eigene Familie aber nur sporadisch kümmerte. Zeit seines Lebens stand Guthrie der Kommunistischen Partei nahe, ein Theoretiker war Guthrie aber nie.

Mit seinen eindringlichen Songs über die soziale Realität der Arbeiter und Dust-Bowl-Flüchtlinge verschaffte sich Guthrie einen Platz an der Seite der linken Intellektuellen. Zudem beherrschte er, wie Barbara Mürdter betont, das Rollenspiel des trotteligen Landeis, in welchem er auf unterhaltende Weise all die klischeehaften Eigenschaften verkörperte, die ihm der urbane Yankee ohnehin zuschrieb. Mit einem Augenzwinkern und in dreckigen Arbeitsklamotten stellte er auf den Bühnen der Gewerkschaftsveranstaltungen einen augenblicklichen Wirklichkeitsbezug her und begeisterte ebenso Flüchtlinge wie die Okies, deren Position als Ausgegrenzte er durch seine Beliebtheit ins Positive umkehrte.

In den Sechzigern gilt das urige „This Land Is Your Land“ als alternative Nationalhymne der USA und findet seinen Weg bis in die Schulbücher. Doch fehlen in der berühmten Version noch heute zwei Strophen, deren sozialistische Konnotation aus jetziger Sicht zwar ungemein harmlos wirkt, in den USA jedoch immer noch eine Infragestellung der Grundrechte darlegt: „As I went walking I saw a sign there/ And on the sign it said „No Trespassing“/ But on the other side it didn’t say nothing/ That side was made for you and me.“

Im Jahr 2012 mag der verstaubte Sound von Woody Guthrie kaum mehr Begeisterung auslösen, doch gilt es den historischen Wert des Pioniers weiter zu tragen, wie es Barbara Mürdter mit ihrer aufregenden Biografie leistet. Als Ergänzung sei die Autobiografie „Dies Land ist mein Land“ empfohlen, die über Nautilus neu als Paperback erscheint.

Barbara Mürdter: „Woody Guthrie – Die Stimme des anderen Amerika“. Neues Leben, Berlin 2012, 240 Seiten, 17,95 Euro