: Retter in der Not
Seit fünf Jahren bietet der Hamburger Verein Pfiff e.V. Patenschaften für Kinder psychisch erkrankter Mütter an. Für die Kinder ist dies eine der erfolgreichsten Präventionsmaßnahmen überhaupt
Von Anne-Ev Ustorf
Fast alle Frauen, die ein Baby erwarten, haben den Wunsch, ihrem Kind ein liebevolles und sicheres Zuhause zu bieten. Doch manchmal klappt das nicht. „Was es bedeutet, Mutter und Vater zu sein, lernt ein Mensch in erster Linie in seiner eigenen Kindheit“, sagt der Psychologe Armin Westermann. Waren diese Erfahrungen negativ, kann die Geburt eines Kindes sie schnell wieder hervorholen – und bei zusätzlichen Belastungen die Mutter in eine tiefe Krise stürzen. So war es auch bei Anke Saalfeldt*.
Als die Buchhalterin mit Mitte 30 ihr erstes Kind erwartete, war schon von vornherein klar, dass sie es alleine würde großziehen müssen. Und sie wollte es besser als in ihrer eigenen Kindheit, in der sehr vieles schief gelaufen war. Doch als Katharina* auf der Welt war, stieß Anke Saalfeldt schnell an ihre Grenzen. Die Kleine war oft krank, litt an Asthma, Bronchitis und Allergien, an Schlaf war kaum zu denken.
Anke Saalfeldt fühlte sich überfordert und allein gelassen. Irgendwann begann sie aus Verzweiflung, ihre Tochter zu schlagen – und verfiel danach in Schuldgefühle, weil sie so eine Mutter doch nie hatte sein wollen.
Schließlich suchte sie Hilfe an der Mutter-und-Kind-Ambulanz des UKE. Die leitende Ärztin machte sie auf den Hamburger Pflegekinder-Verein Pfiff e.V. aufmerksam, der gerade ein neues Konzept für Kinder psychisch erkrankter Eltern entwickelt hatte. Die „Patenschaften“ sind eine Art Kurzzeitpflege mit dauerhaftem Kontakt, bei der erwachsene „Paten“ als Familienersatz für das Kind bereitstehen, es zu vorher abgesprochenen Zeiten betreuen und auch mal in Krisensituationen einspringen – im Idealfall über viele Jahre.
Anke Saalfeldt und Katharina waren die Ersten, die dieses Angebot wahrnahmen. Zusammen mit Pfiff e.V. wählten sie ihre Patin, eine kinderlose Lehrerin, selbst aus. Seit fünf Jahren geht Katharina nun jede Woche zu Inge Winkler*, die, wie Anke Saalfeldt sagt, mittlerweile eine Art „Oma-Tantenersatz“ für das Kind geworden ist.
„Es gab sehr harte Zeiten, in denen ich ernsthaft überlegte, ob ich meine Tochter ganz abgeben soll“, sagt sie, „da war ich dann sehr froh, dass Inge sie nehmen konnte. Doch gerade durch das Kind habe ich mich auch unglaublich entwickelt und bin inzwischen sehr glücklich, Katharina zu haben.“
Zwölf Patenschaften werden inzwischen von Pfiff e.V. betreut, größtenteils handelt es sich dabei um die Kinder allein erziehender Mütter. Gerade diese können oft nicht auf ihre eigenen Familien zur Unterstützung zurückgreifen, denn ihre Erkrankungen entstanden in der Regel vor dem Hintergrund eben dieser Familien. Die Patinnen – fast immer sind es Frauen – hingegen sind nicht ins System eingebunden.
„Die Patenschaften sind eine sehr schonende Art für Mutter und Kind, mit der psychischen Erkrankung der Mutter umzugehen“, sagt Ortrud Beckmann, die als Kinder- und Jugendlichentherapeutin die Patenschaften bei Pfiff e.V. betreut. „Unserer Erfahrung nach haben die Mütter sehr große Angst, ihr Kind zu verlieren und versuchen, so lange durchzuhalten, bis es nicht mehr geht.“ Die Patenschaften seien eine Erleichterung, denn dann wüssten sie, wohin ihr Kind kommt, wenn es ihnen schlecht geht: „Für das Kind ist das auch wunderbar“, sagt Beckmann, „denn es erhält dadurch eine neue, wichtige Bezugsperson.“
Für Anke Saalfeldt war es wichtig, Katharina regelmäßig abgeben zu können, um zwischendurch mal Kraft zu schöpfen – anfangs zwei- bis dreimal die Woche, inzwischen nur noch Freitag nachmittags. Auch ihre Beziehung zu Inge Winkler ist intensiv, sie waren sogar schon zweimal zusammen im Urlaub.
Doch es gab auch immer wieder Konflikte. Damit die Beziehung zwischen Patin und Patenkind intakt und zuverlässig bleibt, muss hart gearbeitet werden: Vierteljährlich gibt es ein Reflektionsgespräch zwischen der Mutter, der Patin, Beckmann und einer vierten Person, die der Mutter zugehörig ist – beispielsweise eine Therapeutin oder Sozialarbeiterin.
„Diese Gespräche sind wichtig, damit das Kind unbelastet von Konflikten bleibt, die möglicherweise zwischen dem Paten und der Mutter bestehen“, sagt Beckmann. „Zum Beispiel sollte der Pate auf keinen Fall als eine Art Hilfstherapeut von der Mutter missbraucht werden. Er ist für das Kind da. Deshalb verstehen wir diese Gespräche als eine Art Ältestenrat, der sich gemeinsam um die Belange des Patenkindes kümmert.“
Je früher eine Patenschaft eingeleitet wird, umso besser wirkt sich der präventive Ansatz für das Kind aus, da sind sich alle einig. Denn das Kind findet Halt und lernt durch die neue Bezugsperson andere Verhaltensweisen kennen. Die Warteliste bei Pfiff e.V. ist dementsprechend lang – doch momentan ist es allein aus finanziellen Gründen nicht möglich, mehr Patenschaften anzubieten.
Auch Inge Winkler findet die Patenschaften eine „supergute Präventionsmaßnahme“ und hat inzwischen eine so enge Bindung zu Katharina aufgebaut, dass sie sich gut vorstellen kann, das Mädchen ihr Leben lang zu begleiten. „Kinder können mit schwierigen Zeiten umgehen“, sagt Beckmann. Nur müsse Hilfe da sein: „Das ist auch für die Kinder ein Reifeprozess. Und die Patenschaften können diesen Prozess ideal begleiten.“
* Namen geändert
Pfiff e.V.: Weitere Informationen unter Telefon 040 / 41 09 84 60 oder www.pfiff-hamburg.de.