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Archiv-Artikel

Die Bürger entscheiden jetzt endlich mit

Höchste Zeit: Heute tritt das Gesetz für Bürgerentscheide auf Bezirksebene in Kraft. Der Verein „Mehr Demokratie“ liefert die Gebrauchsanweisung und lobt das Gesetz. Nur Bayern und Hamburg räumen den Bürgern mehr Rechte ein

Ab jetzt können die BerlinerInnen in ihren Bezirken richtig mitreden. Das Gesetz, das Bürgerentscheide auf Bezirksebene ermöglicht, tritt heute in Kraft. „Das ist ein toller Erfolg. Es ist wohl das beste Gesetz zur Bürgerbeteiligung, das je ein Parlament in der Bundesrepublik auf den Weg gebracht hat“, kommentierte Christian Posselt vom Verein „Mehr Demokratie“ gestern. Nur Bayern und Hamburg räumen den BürgerInnen mehr Rechte ein, dies musste allerdings per Volksbegehren auf Landesebene durchgepeitscht werden. In Berlin war im Abgeordnetenhaus eine große Koalition dafür, der sich nur die CDU verschloss.

Damit schließt die Hauptstadt endlich zu den anderen Bundesländern auf, in denen Bürgerentscheide auf kommunaler Ebene längst üblich sind. Engagierte können sich künftig für Fußgängerampeln, Tempo-30-Poller oder Spielplätze in einem mehrstufigen Verfahren stark machen – durchaus mit Aussicht auf Erfolg (siehe Kasten).

Der Verein „Mehr Demokratie“ hat bereits ein Beratungsangebot gestartet. Er forderte die Bezirksämter in einem offenen Brief dazu auf, auf ihren Internetseiten Hilfe zu leisten. „Bisher werden die Leute durch die Homepages eher von einer Beteiligung abgehalten“, so Posselt.

Beim lange strittigen Punkt der Flächennutzungs- und Bebauungspläne greift das Gesetz zu einem Kompromiss. Bei beiden sind in Berlin viele Instanzen in einem langen Abwägungsprozess beteiligt. „Die schlichte Ja-Nein-Entscheidung eines Begehrens wäre rechtlich nicht zulässig“, sagt Posselt. Ein Bürgerentscheid kann also einen Bebauungsplan nicht verbindlich festsetzen, er hat hier nur empfehlenden Charakter. „Wenn sich aber zum Beispiel 20 Prozent der Wahlberechtigten für eine Empfehlung aussprechen, wird das Amt das Votum nicht ignorieren können.“ Der einfache Grund: Gegen einen von der Behörde erstellten Plan könnte nämlich per Entscheid ein Veto eingelegt werden – an das BürgerInnen-Nein müsste sich das Amt in jedem Fall halten. Neu ist auch, dass die Behörde vor Einleitung eines Begehrens eine Kostenschätzung abgeben muss. So können die BürgerInnen die Folgen ihrer Entscheidung, etwa neue Tore auf den Bolzplatz zu stellen, besser überblicken.

Das Gesetz mit dem Titel „Mehr Demokratie für Berlinerinnen und Berliner“ hat das Abgeordnetenhaus bereits am 16. Juni beschlossen. Um Bezirksentscheide zu ermöglichen, musste auch die Verfassung geändert werden. ULRICH SCHULTE