DIE ANALYTIKER : Unhöflich sein
Ich treffe mich mit meinem Psychoanalytiker im Café Einstein. Er hat mich zwar nicht analysiert, aber er ist trotzdem „mein“ Analytiker, weil er schon mal was in meinem Verlag veröffentlicht hat. Außerdem hat er seine Praxis in Zürich, und das ist mir ein bisschen zu weit weg, um mich analysieren zu lassen. Außerdem heißt er Peter Schneider, und wenn ich sagen würde, mein Analytiker ist der Peter Schneider, dann würde das zu Missverständnissen führen.
Und als letztes Außerdem: Würden Sie sich von jemandem psychoanalysieren lassen, der Sie bei einem Treffen im Café darum bittet, seine Frau, die sich gerade auf dem Klo befindet und ziemlich dünn ist, bei ihrer Rückkehr mit der Frage zu überraschen: „Na, du bist ja überhaupt nicht dicker geworden!“
Stattdessen klingelt das Handy, das sonst nie klingelt. Und ich bin auch noch so unhöflich und gehe dran. Es ist Peggy Parnass, die ich gar nicht kenne und die mich dazu überreden will, irgendein vergriffenes Buch aus dem Verlag neu aufzulegen. Sie würde auch fünf Exemplare vorbestellen. Ich sage, dass ich bei fünf Vorbestellungen ein Buch nicht nachdrucke, was sie aber nicht einsieht. Ich weiß nicht, wie ich die Diskussion beende, ohne unhöflich zu wirken, was ich sowieso schon bin, weil ich bei einem Treffen mit meinem Psychoanalytiker telefoniere.
Ich sage, ich würde zu ihrer Lesung in den „Monarch“ kommen, von der mir Peggy Parnass erzählt, um irgendwie die Kurve zu kriegen. Und das ist kein leeres Versprechen. Ich gehe tatsächlich hin. Es sind aber nicht viele Leute da, wahrscheinlich sind sogar mehr Bücher auf dem Büchertisch da als Leute. Peggy Parnass wird mit den Worten vorgestellt: „Ich freue mich, dass Sie so zahlreich erschienen sind, und ich freue mich, dass Peggy Parnass gekommen ist.“ Ich frage mich, wie Peter Schneider das analysieren würde.
KLAUS BITTERMANN