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Archiv-Artikel

Die Menschmaschine

Auch in den Pyrenäen finden Lance Armstrongs Konkurrenten kein Mittel gegen den Meister aus Texas – der wird wohl als der Unschlagbare in die Geschichte der Tour de France eingehen

VON ANDREAS RÜTTENAUER

Die großen Berge sind überwunden und endlich einmal wieder lieferte die Tour de France Bilder vom direkten Duell der Mannschaftskapitäne. Am Samstag griff das Team von Jan Ullrich derart früh und derart heftig an, dass Lance Armstrong die letzten beiden Anstiege des Tages alleine, ohne Helfer seines Teams Discovery Channel hinauffahren musste. Ivan Basso und Jan Ullrich machten das Tempo. Und als Ullrich beim Aufstieg zum Port de Pailhères einmal kräftig in die Pedale trat und mehrere Meter Abstand zwischen sich und Armstrong legte, da kam beinahe so etwas wie Spannung auf, etwas, womit eigentlich niemand mehr gerechnet hatte.

Doch es dauerte nicht lange, da hatte Armstrong wieder zu Ullrich aufgeschlossen. Ein weitere Attacke fand nicht satt. Und dennoch waren alle Blicke auf Armstrong gerichtet. Die Fernsehkommentatoren und Experten interpretierten jeden Griff zur Flasche, jedes Zupfen am Trikot, jedes Kopfschütteln des großen Dominators und fragten sich, ob das alles nicht Zeichen von Schwäche seien. Jens Voigt, der erkrankte Rouleur, der sich nach seinem Ausscheiden nicht mehr über die Passstraßen quälen musste, schrieb in sein Tourtagebuch, das er für ein Sportportal führt, Armstrong habe eine höhere Übersetzung gewählt. Und er beobachtete noch mehr Verdächtiges: „Diesen leeren Gesichtsausdruck, wenn man sehr erschöpft ist“, habe Armstrong gehabt. Auch Voigt scheint sich nichts sehnlicher zu wünschen als einen Schwächeanfall des Amerikaners. Armstrong schwitzt, er isst, er trinkt – und doch will er nicht recht menschlich erscheinen. Während ein vor Glück weinender und vor Anstrengung darnieder gesunkener Georg Totschnig in Ax-3-Domaines als Etappensieger gefeiert wird, fährt eine Minute nach dessen Zielankunft ein vergleichsweise entspannt wirkender Armstrong über die Ziellinie. Er ist der eigentliche Sieger der ersten Bergankunft in den Pyrenäen. Die Konkurrenten im Kampf um das Gesamtklassement, allen voran der Überraschungsmann Mickael Rasmussen, haben erneut Zeit auf das Wesen in Gelb verloren. Jan Ullrich ist 300 Meter vor der letzten Kuppe regelrecht stehen geblieben und wurde dennoch für seine Leistung gelobt. Er ist der Mensch, der gegen eine Menschmaschine angetreten ist. Und all jene Anzeichen, die von vielen hoffnungsvoll als Schwäche gedeutet wurden? Der Meister selbst meinte nach der Etappe vom Samstag: „Ich habe mich gut gefühlt und ich war bereit, auf alles eine Antwort zu geben.“

Es ist die letzte Tour für Lance Armstrong. Und er wird sie – kommt nicht noch ein Sturz dazwischen – gewinnen. All jene, die sich so sehr wünschen, Armstrong einmal verlieren zu sehen, müssen also ertragen, dass der dann siebenfache Gewinner die Tour als Sieger verlässt. Miguel Induráin, Bernard Hinault, ja sogar der große Eddy Merckx, sie alle wurden am Ende ihrer Karriere geschlagen. Armstrong wird als der Unschlagbare abtreten. Kaum einer zweifelt daran, dass Armstrong noch einen weiteren Toursieg in den Beinen hätte. Doch er geht, wie es sein Art ist, auch in dieser Hinsicht kein Risiko ein. Das Bild vom Verlierer Armstrong wird es nicht geben.

Vier Bergwertungen der ersten Kategorie und ein happiger Schlussanstieg mit der höchsten Schwierigkeitsstufe waren gestern zu bewältigen. 205 Kilometer waren zwischen Lézat-sur-Lèze und Pla d’Adet zu absolvieren. Armstrong und die Konkurrenten um Platz zwei in der Gesamtwertung hielten sich lange zurück. Eine Spitzengruppe bildete sich und erarbeitete sich beinahe 20 Minuten Vorsprung. Erst am vorletzten Anstieg beharkten sich die besten Fahrer des Feldes. Ivan Basso, der Dritte vor der Etappe, Jan Ullrich und Armstrong fuhren den Val-Louron-Azet zu dritt hoch. Jan Ullrich tat sich schwer, Ivan Basso gab sich Mühe und Lance Armstrong fuhr Rad. Wieder gab es einige Attacken auf den Amerikaner, wieder konnte er alle parieren. Mit schmerzverzerrtem Gesicht zog der starke Italiener Basso einmal kurz davon, kurz darauf war Armstrong wieder an ihm dran. Und während Armstrongs Teamgefährte George Hincapie, einer der Ausreißer, die Etappe für sich entschied, fuhr Armstrong in aller Ruhe zusammen mit Basso den Schlussanstieg hinauf. Ullrich war abgehängt, alle anderen waren abgehängt. Die Tour geht wieder ins Flachland. Das Rennen scheint entschieden.