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Archiv-Artikel

Der Staat hört immer häufiger mit

Die Telefonüberwachung hat deutlich zugenommen. In mehr als 80 Prozent der Fälle geht es um Ermittlungen gegen Drogenhändler

Von CHR

FREIBURG taz | Die Anzahl der Telefonüberwachungen stieg im Jahr 2008 erneut an. Gegenüber dem Vorjahr nahm die Zahl der Überwachungsmaßnahmen um rund 10 Prozent zu. Das weist die jetzt vorgestellte Statistik des Bundesamts für Justiz aus. Der Trend ist aber nicht neu. Seit 2000 nahm die Überwachung der Telekommunikation um rund 60 Prozent zu.

Im Jahr 2008 wurde in 5.348 Ermittlungsverfahren mindestens ein Telefon abgehört. Fast immer waren dabei Mobiltelefone betroffen. Während sich nur ein Drittel der Anordnungen zusätzlich auch auf Festnetzapparate bezog. In mehr als 80 Prozent der Abhörfälle geht es um Ermittlungen gegen Drogenhändler. Mit weitem Abstand folgen Bandendiebstahl (14 Prozent), Raub und Erpressung (10 Prozent) sowie Mord und Totschlag (10 Prozent). Die Summe ergibt mehr als 100 Prozent, weil pro Verfahren oft wegen mehrerer Delikte ermittelt wird.

Die Zunahme gegenüber 2007 hat vor allem drei Ursachen. Erstens nahm die Überwachung bei den Drogendelikten zu, was auf die Gesamtstatistik durchschlägt. Dies könnte daran liegen, dass in den letzten Jahren die Ermittlungen im Drogenmilieu generell zugenommen haben.

Zweitens hat die Telefonüberwachung vor allem in Bayern zugelegt. Gegenüber 2007 ergab sich im Freistaat eine Zunahme um rund 30 Prozent. Das bayerische Justizministerium führt den Anstieg vor allem darauf zurück, dass im Jahr 2007 besonders wenig abgehört wurde.

Drittens ist die Telefonüberwachung seit 2008 bei einigen zusätzlichen Deliktarten zulässig. So finden sich in der Statistik jetzt auch Fälle von Betrug (307), Steuerdelikte (199), Korruption (92), Schmuggel (77) und Urkundenfälschung (57).

Dass in Deutschland zu viel abgehört wird, beklagt zumindest die Opposition schon lange. Auch aus diesem Grund wurde Ende 2007 die Telekommunikationsüberwachung neu geregelt. So dürfen Gespräche im privaten Kernbereich erst gar nicht aufgezeichnet werden oder müssen sofort wieder gelöscht werden. Außerdem muss es ein Richter genehmigen, wenn der Betroffene länger als ein Jahr nicht benachrichtigt wird.

Auswirkungen auf die Zahl der Abhörmaßnahmen hatte die Reform offensichtlich nicht. Der FDP-Rechtsexperte Jörg van Essen sagte deshalb: „Die Reform der Telefonüberwachung ist gescheitert.“ Das Thema gehöre in der nächsten Wahlperiode erneut auf den Prüfstand. Wolfgang Wieland von den Grünen kritisierte, dass das Abhören von Telefonen immer mehr zum „Allerweltsinstrument“ werde.

Früher führte auch die Bundesnetzagentur eine Statistik zur Telefonüberwachung. Dort wurde die Zahl der überwachten Anschlüsse gezählt. 2007 waren es rund 45.000 Telefonnummern. Da Verdächtige aber oft mehr als ein Dutzend Mobiltelefone benutzen, war diese Statistik immer weniger aufschlussreich. Sie wird deshalb inzwischen nicht mehr erstellt.

Jetzt wird nur noch die Zahl der Ermittlungsverfahren mit Telefonüberwachung gezählt. Wenn diese ansteigt, nimmt die Überwachungsquote zu. Auf den Mehrfachgebrauch von Handys kann man den Anstieg in der aktuellen Statistik also nicht zurückführen. CHR