: Wie der Krieg nach Hause kommt
Jede Berichterstattung birgt immer auch die Gefahr, reine Verschleierung zu sein: „Covering the Real. Kunst und Pressebild von Warhol bis Tillmans“ im Kunstmuseum Basel stellt künstlerische Strategien einer vierzig Jahre andauernden Auseinandersetzung mit Massenmedien und Nachrichtenbildern vor
von BRIGITTE WERNEBURG
Mitte der Neunzigerjahre fiel Wolfgang Tillmans die Regelmäßigkeit auf, mit der die New York Times auf ihrer Titelseite Bilder von Soldaten abdruckte. Es handelte sich um Fotografien, die nichts weiter zeigten als einen attraktiven jungen Mann in Uniform. Stets war er unbeschäftigt, wartete, rauchte oder spielte Schach; der Einsatz von Gewalt war der Polizei vorbehalten, wie andere Zeitungsbilder zeigten. Tillmans erkannte in diesem Soldatenfoto der Neunzigerjahre einen eigenen Nachrichtentypus; neben dem Politiker und dem Sportler war der Soldat die meistabgebildete Figur in den Medien.
Wahrscheinlich ist sie auch anderen Lesern der New York Times aufgefallen. Doch wir wissen es nicht. Denn nur Wolfgang Tillmans machte seine Beobachtung öffentlich. Er entwickelte aus ihr die Installation „Soldiers. The Nineties“ (1999), die eine Vielzahl von Zeitungsausrissen mit Soldaten- und Polizistendarstellungen in variierender Größe und wechselnden Zusammenstellungen kombinierte, darunter auch eigene Aufnahmen von Soldaten, die freilich nicht ohne weiteres zu identifizieren sind. Tillmans Arbeit, in ihrer fünften und letzten Fassung jetzt in der Ausstellung „Covering the Real“ im Kunstmuseum Basel zu sehen, verdeutlicht ohne weiteres den künstlerischen Umgang mit den Bildern der Massenmedien. Ein Umgang, der inzwischen viel zur allgemeinen Sophistication hinsichtlich der Medienwahrnehmung beigetragen haben dürfte: Ein Motiv oder ein Themenkomplex wird aus der Masse der Bilder herausgehoben, bearbeitet, dabei aber wiederholt, gerahmt, auf das Podest der Kunst gestellt, mit der Bedeutung des Besonderen – und eben nicht Alltäglichen, Massenhaften – aufgeladen und in dieser Form im White Cube des Ausstellungsraums der besonderen Aufmerksamkeit empfohlen.
„Bringing the War Home“ heißt eine berühmte Fotoserie der amerikanischen Künstlerin Martha Rosler, die zwischen 1967 und 1972, dem Höhepunkt des Vietnamkriegs, entstand. Wortwörtlich übersetzte Martha Rosler die Arbeit der Nachrichtenagenturen, der Presse und des Fernsehens in Kunst und montierte Bilder der Kämpfe in Vietnam in die Ansichten gepflegter US-amerikanischer Küchen, Wohn- und Schlafzimmer. Mancher Betrachter dürfte erst hier in voller Bedeutung erkannt haben, wie der Krieg zu ihm nach Hause kam, wie er ihn dort erlebte, ja, erleben musste, inmitten von Werbung für Nahrungsmittel, Einrichtung, Mode und Mobilität, von Börsenkursen und Kochrezepten. Das Nachrichtenbild ist Konsumobjekt wie die moderne Küche; es ist seines Kontexts enthoben – und dass es bei Rosler im Panoramafenster eines Bungalows erscheint, verdeutlich nur, was mit ihm auch auf den Seiten mit den Auslandsnachrichten passiert. Es wird als ästhetisches Ereignis deutlich; als Material für ideologische Indoktrination, aber auch für die kritische Reflexion; als ökonomische Ressource und, damals jedenfalls noch, als moralische Instanz.
Insofern sehr klug – und klar definiert wie das Ausstellungskonzept „Kunst und Pressebild von Warhol bis Tillmans“ selbst – hat Hartwig Fischer, Kustos am Kunstmuseum Basel, die Sechzigerjahre als Ausgangspunkt für die Auseinandersetzung der Kunst mit dem Nachrichtenbild gewählt. In dieser Zeit fiel es noch besonders auf, in seiner vor allem durch das Fernsehen forcierten, neuen Allgegenwärtigkeit. Es stellte plötzlich eine deutliche Herausforderung an die Kunst dar. Andy Warhol, Sigmar Polke, Gerhard Richter, Richard Hamilton, Martha Rosler und Malcolm Morley reagierten als Erste. Die Künstler überführten das Pressebild in die Malerei. Die Künstlerin nutzte den State of the Art der Nachrichtentechnologie und bediente sich gleich des Mediums, das ihr das Material lieferte, der Fotografie und des Films. Ein inzwischen gut belegtes Verfahren künstlerischer Emanzipation auf Seiten der Frauen, mit dem sie eine breite Schneise in den Kunstraum schlugen. Dort war nun ein neuer künstlerischer Ansatz zu beobachten, in dessen Tradition heute Wolfgang Tillmans oder Thomas Demand stehen.
Schon in sich bieten die sehr sorgsam ausgewählten rund hundert Exponate von 28 Künstlern einen großartigen Einblick in die nun 40 Jahre dauernde Konfrontation von Kunst und Pressebild. Mit der aufregendste Aspekt an „Covering the Real“ aber ist die formale Reaktion der Kunst auf das Nachrichtenbild. Neue, an die Ästhetik der Fotografie angelehnte Malweisen entstanden, sei es, dass Polke und Warhol das Raster oder die Monochromie des Drucks akzentuierten, sei es, dass Richter die Unschärfe und das Schwarzweiß in seine Gemälde hereinholte. Richard Hamilton wiederum nutzte den Vorteil der Farbe in der Malerei, um auf den Glamour von Sex, Drugs and Rock ’n’ Roll hinzuweisen, den seine Vorlage, das Zeitungsfoto einer Drogenrazzia, zwar verkaufen wollte, den es aber, grau in grau, nicht wirklich transportieren konnte. Ob sein „Swinging London“ (1968), das Mick Jagger im Polizeiwagen mit Handschellen an den Galeristen Robert Fraser gekettet zeigt, oder die „Mondlandschaft“ (1968) von Richter: Jede Methode zielte auf eine kritische Auseinandersetzung mit der Malerei, den Möglichkeiten der Kunst, und schon so belegte sie die Auseinandersetzung mit dem Pressebild und seiner Konstruktion von Realität.
Letztere ist nun in Basel in Realzeit zu sehen. Geschickt hat der Kurator die Architektur des Ausstellungsflügels genutzt, die dem Besucher durch sechs Räume hindurch eine Sichtachse auf die Stirnwand des siebten Raums eröffnet. Auf ihr sind während der gesamten Ausstellungsdauer per Direktschaltung die Bilder zu sehen, die 24 Stunden täglich bei der Schweizer Pressebildagentur Keystone einlaufen. Da der Text, der die Bilder begleitet, nicht hier, sondern zwei Stockwerke tiefer über der Kasse eingeblendet ist, erscheint die riesige Projektion wie ein Gemälde – gerahmt durch die Türstöcke der davor liegenden Räume gar wie ein Altarbild. Doch das Andachtsbild von heute ist ein Serienereignis. Und es ist eine Projektion. Technisch zunächst, doch in der Folge durchaus mit politischer Stoßrichtung.
Allan Sekula nutzt diese Präsentationsform und erledigt sie zugleich: Er projiziert seine Dokumentation der Anti-IWF-Demonstrationen 1999 in Seattle vom Diakarussel, jenem Unding, das so sehr der Vergangenheit, dem Amateur und der Lehrveranstaltung angehört, dass jeder Sex Appeal der Projektion schon zerstört ist, bevor noch das erste Bild erscheint. Eine simple, aber raffinierte Strategie, das politische Moment seiner Arbeit herauszustellen. Ein freilich notwendiges, dabei interessantes und aufklärendes Verfahren, denn wie der Ausstellungstitel „Covering the Real“ besagt, läuft jede Berichterstattung Gefahr, auch Verschleierung zu sein, selbst wenn dies nicht, wie so oft, beabsichtigt ist.
Bis 21. August, Katalog (DuMont Verlag) 58 sFr