piwik no script img

Archiv-Artikel

Alles Unnötige ist verbannt

KONZENTRATION Allroh verdichtet den Rock zu purem Ausdruck. Am Mittwochabend trat sie im West Germany auf, völlig in ihr Spiel vertieft

Zehn Jahre für ein Album sind eine lange Zeit. Für die Gitarristin Anne Rolfs waren sie notwendig. Notwendig, um die Musik, die sie im Kopf hatte, genau so spielen zu können, wie sie klingen sollte. Die ehemalige Sängerin der legendären Independent-Band Wuhling verfolgte ihren Plan mit fast beängstigender Perfektion und verbrachte eine Dekade mit Üben, bis ihr Debüt „HAG DEC“ vollendet war, ein Album mit schnörkellos virtuosem Rock voll spröder Emotionalität und Schönheit. Im West Germany stellte sie ihr Soloprojekt Allroh nun am Mittwoch vor.

Ganz in Weiß

Ganz in Weiß steht Rolfs auf der Bühne, eine Frau und ihre Gitarre, ein Mikrofon zum Singen. Alles Unnötige ist aus ihrem Auftritt verbannt, man sieht eine Musikerin am Werk, die völlig in ihr Spiel vertieft ist und die Pausen zwischen den Stücken höchstens zum Nachstimmen nutzt. Keine Show, aber auch keine Künstlerallüren. Bei Rolfs ist alles echt, die Technik, das Gefühl, die Musik.

Musiker wie Allroh sind heutzutage selten. Ohne Brüche oder Ironie kommt eigentlich kaum noch jemand aus, vom Zitaten-Eklektizismus ganz zu schweigen. Spielereien dieser Art braucht man bei Allroh gar nicht erst zu suchen. Stattdessen will sie mit ihrer Musik bloß klingen wie sie selbst, ohne sich an einem Vorbild abzuarbeiten. Der Name „Allroh“ gibt die Richtung deutlich vor: Hier ist „alles roh“, unbehauen und schroff, zugleich verletzlich und zart.

„He du, was machst denn du?“, fragt Rolfs in ihrem ersten Stück, „He du“. Diese Frage ist zugleich der ganze Text. Andere Songs müssen mit ein oder zwei Worten auskommen. Oft sind ihre Texte kaum verständlich, die wie Mantras wiederholten kurzen Wortfolgen haben etwas Insistierendes, Getriebenes. Rastlos auch die Musik dazu, Allroh spielt Riffs in aberwitzigem Tempo, immer wieder unterbrochen von kurzen, ultrapräzisen Melodieelementen. Die dichte Gitarrenwand legt sich wie ein Schutzpanzer um ihre Stimme, die oft nur wenige Töne umkreist und hier und da in ein Rufen kippt.

Auch wenn das Fundament von Allrohs Musik Blues und Rock sein mögen, wird in Rolfs Händen etwas daraus, das fast noch ursprünglicher klingt. Wie gebündelte Energie strömen ihre Stücke auf die Hörer ein, einige funkeln dunkel, andere strahlen heller. Klar erkennbare Harmonien werden immer wieder von atonalen Einsprengseln aus der Ordnung gebracht, doch wirkt daran nichts gekünstelt oder beliebig. Rolfs hat jedes ihrer Stücke sorgfältig erarbeitet, Improvisation kommt bei ihr praktisch nicht vor. Große Kunst, der man die Mühe nicht anmerkt.

Rohheit und Ruhe

Bei aller Rohheit lässt Rolfs auch Raum für ruhigere Momente. Im letzten Stück, „Feder“, spielt sie die Saiten ihres Instruments sogar mit einer Vogelfeder. Was sich albern lesen mag, wirkt auf der Bühne völlig selbstverständlich und fasziniert mit seiner sanften Spannung. Ein andermal setzt sie Fingerhüte auf, mit denen sie auf die Saiten schlägt, um einen flirrenden metallischen Klang zu produzieren. Ihre Musik hat dabei in ihrer unmittelbaren Wirkung stets etwas Archaisches. TIM CASPAR BOEHME

■ Allroh: „HAG DEC“ (Graumann)