: „Ein Chefkoch stirbt früher“
GASTRONOMIE Christian Rach hat Restaurants und testet welche. Er kocht und schreibt darüber. Und er weiß, wie die Liebe in die Bulette kommt
■ Herkunft: Geboren 1957 in St. Ingbert, Saarland. Nach dem Abitur fünf Jahre Studium der Philosophie und Mathematik in Hamburg, ohne Abschluss.
■ Beruf: Finanziert sich das Studium mit Jobs als Koch und Kellner. Anfang der Achtziger Entschluss, Kochen zum Beruf zu machen. 1983 Arbeitsaufenthalt in Grenoble, lernt die Nouvelle Cuisine kennen. 1984 Sous Chef im Restaurant Korso in Wien. 1989 Eröffnung des Restaurants Tafelhaus in Hamburg-Ottensen. Status: 1 Michelin-Stern, 16 Gault-Millau-Punkte.
■ Promi: Seit 2005 Auftritte in der RTL-Sendung „Rach der Restauranttester“, wo er Wirten in der Krise auf die Sprünge hilft. Unvergessen die Folge über eine Tapas-Bar, deren Betreiber noch nie ein spanisches Restaurant von innen gesehen hatten.
INTERVIEW ANJA MAIER
taz: Herr Rach, in Ihrem „Gästebuch“ schreiben Sie, das Wichtigste an einem gelungenen Essen sei, dass es mit „Liebe“ zubereitet wird. Wie kommt denn die Liebe in die Bulette?
Christian Rach: Die Liebe kommt in die Bulette, weil Sie „mit dem Finger“ noch mal nachschmecken und weil ein Rezept nicht an jedem Tag gleich funktioniert. Mal ist das Fleisch anders, mal das Brötchen – oder die Zwiebel ist unterschiedlich scharf.
Eine gekaufte Bulette tut’s nicht?
Da wäre ich vorsichtig. Es gibt große Unterschiede bei Convenience Food, was ja übersetzt nichts anderes als „der Bequemlichkeit dienend“ heißt. Wenn Sie richtig gute fertige Nudeln kaufen, ist das schon mal gar kein Problem. Aber es gibt auch Convenience, das falsche Tatsachen vorgaukelt.
Zum Beispiel?
Wenn irgendwo „Hausgemachte Rouladen“ auf einem Produkt steht, dann darf der Wirt die so verkaufen. Er hat sie aber gar nicht hausgemacht, sondern jemand anderes hat sie „in einem Haus“ gemacht. Da ist eine rechtliche Grauzone, sehr schwammig und unsympathisch, nach dem Motto „Ich schneid mal ’ne Tüte auf“.
Wer in Mecklenburg-Vorpommern Urlaub macht, isst am besten nur Bauernfrühstück – das ist, anders als das meiste, wenigstens selbst zubereitet. Was läuft falsch im Osten?
Ich sage lieber mal, was richtig läuft. Da hat die Industrie einen richtig guten Job gemacht. Sie hat den Leuten „vorgegaukelt“: das, was ihr selber produziert, können wir besser. Leider sind viele darauf reingefallen. Weil sie nicht realisieren, dass diejenigen, die zu ihnen kommen, nicht in erster Linie kommen, weil sie Hunger haben. Sondern weil sie etwas anderes haben wollen als das, was sie zu Hause haben. Wenn man in Ostdeutschland auf dem Land unterwegs ist, ist der Servicegedanke noch nicht so ausgeprägt.
… das haben Sie nett gesagt.
Ja. Da ist doch noch das eine oder andere nachzuholen. Aber das Ganze geht nur mit Qualität. Es reicht zu wissen, wie kann ich ein Kotelett gut machen, ein Schnitzel.
Das findet man dort immer seltener.
Kein Wunder, versuchen Sie mal, dort ein Schild aufstellen zu lassen – Sie werden mit Vorschriften und Auflagen konfrontiert, die Ihnen das unmöglich machen. Simpelste Vorgänge werden blockiert, so schafft man nicht die Voraussetzungen, um eine wie auch immer geartete Existenz zu schaffen.
Ist das nur im Osten so? Durch Ihre Sendung „Rach, der Restauranttester“ kommen Sie doch überall herum.
Nein, das gibt es natürlich auch in Westdeutschland. Nur hier haben wir auf dem Land noch eine andere Struktur. Die Städte im Osten müssen den Vergleich wirklich nicht scheuen. Wenn Sie nach Dresden gehen oder nach Erfurt, da wird Hervorragendes geleistet. Aber auf dem Land gibt es Nachholebedarf. Da müsste die Politik viel mehr in die Ausbildung stecken, damit die jungen Leute vor Ort bleiben.
Sie selbst haben keine klassische Kochausbildung.
Also da muss man aufpassen, diese Dinge sind immer so wertend. Da steht dann, ich sei Autodidakt. Das ist ja nicht richtig. Autodidakt heißt Selbstlerner. Erstens ist jeder, der was lernt, Autodidakt, manuell und auch geistig. Der Unterschied ist, dass ich, nachdem ich sechs Jahre Mathematik und Philosophie studiert habe, für mich entschieden habe, nicht noch mal in die Berufsschule zu gehen. Ich habe eine Ausbildung gemacht – ich bin nur nicht in eine Berufsschule gegangen. Was sollte ich da lernen? Ich hatte ja gesehen, was Lehrlinge beigebracht kriegen.
Was können denn ausgebildeten Köche nicht?
Ich will die Berufsschulen nicht in Abrede stellen, das ist schon eine sinnvolle Institution. Aber der Schwerpunkt dort liegt leider auf dem Wort Schule, nicht auf dem Wort Berufsausbildung. Zum Beispiel sind Koch- und Kellnerlehrlinge um Weihnachten nicht in ihren Betrieben. In Hamburg gibt es ja Blockunterricht, da wird die Theorie direkt vor Weihnachten gelegt, dann sind Schulferien, das heißt, so ein Kochlehrling ist nicht da, wenn es im Lokal richtig zur Sache geht.
Es heißt, Köche sterben jung. Ein Mythos?
Kein Mythos. Köche sind laut den Berufsgenossenschaften in der Risikogruppe Numero 1. Nicht wegen der Messer oder wegen des Feuers, sondern wegen Stress in Verbindung mit Alkohol, das Risiko eines Herzinfarktes ist sehr groß. Es gibt eine Statistik, nach der ein Chefkoch eine Lebenserwartung von 56 Jahren hat.
Wie alt sind Sie jetzt?
Ich bin noch nicht 56. Ich tue aber nichts weiter. Das Wissen um das Risiko, da gibt es nach wie vor kein Bewusstsein, dass ein Gastronom, ein Chefkoch, 70 bis 80 Stunden in der Woche arbeitet. Und trotzdem gibt es den Druck, dass wir permanent und zu jeder Zeit im Restaurant sein, sichtbar sein müssen. Und wenn nicht, gibt es gleich schlechte Presse.
Apropos … Schmuddelrestaurants werden in Berlin ins Internet gestellt. Wie finden Sie das?
Ganz schlimm, ganz schrecklich. Man greift da plakativ Leute heraus. Das ist absolut tödlich, der Gastronom kann zumachen.
Aber können Sie nicht verstehen, dass Gäste da Klarheit wünschen?
Wo machen Sie das denn mit einer Autowerkstatt? Wo mit einer Arztpraxis? Ich meine, wenn ich die Läden sehe, die ich in meiner Sendung besuche, frage ich mich, wie kann das sein, dass da keiner kontrolliert? Es werden überall Stellen abgebaut im Verbraucherschutz.
Woran erkenne ich denn ein sauberes Restaurant?
Daran, dass es sauber ist. Nein, das können Sie nicht erkennen. Na ja, wenn die Toilette dreckig ist, ist das ein Indiz dafür, dass es auch in der Küche nicht weit her ist.
Was ist denn Ihrer Meinung nach der nutzloseste Küchenrumsteher?
In der Profiküche gibt es im Prinzip kaum nutzlose Dinge. Die sind oft zu Hause nutzlos, da sage ich immer nice to have, but not necessary. Für zu Hause wird einem ja alles Mögliche angedreht, Hauptsache, es sieht hübsch aus. Da gibt es Pflaumenentkerner oder diese riesigen Pfeffermühlen, das ist reiner Distinktionsgewinn – völliger Quatsch.
Was gibt es heute im Tafelhaus zum Mittag?
Es gibt eine wunderbare Thunfischvariation als Vorspeise, dann haben wir eine Pilzessenz mit Pfifferlingscrostini, es gibt einen Kabeljau mit Zitrusmarinade und kleinem Zwiebelkuchen und dann als Hauptgang …
… ah, das waren jetzt die Vorspeisen?
Der Gast ist König. Dann haben wir einen vakuumgegarten Tafelspitz mit Kaffeearoma und Feigensalat. Das Dessert ist eine Variation von Renekloden.
Aber der König bleibt zu Hause – die Umsätze im Gastrogewerbe sind rückläufig. Spüren Sie davon etwas?
Diese Wirtschaftskrise geht an keinem Bereich vorbei, auch am Tourismus nicht, wenn man das mal unter diesem Begriff subsummiert. Ich glaube aber, dass Läden, die Identität und Qualität haben, weniger zu leiden haben. Der Gast, der heute trotz Krise kommt, will eine entsprechende Gegenleistung für sein Geld.
Koch ist ein harter Job, oder?
Ein sehr harter Job. Sozialisation ist kaum möglich.
Wie meinen Sie das?
Na ja, wenn wir beide uns verabreden wollten, ich könnte Ihnen gar keinen Termin anbieten, der vor Mitternacht liegt. Das ist ja dann wohl eher ungünstig.