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Archiv-Artikel

Knast als Chance

JUGENDSTRAFVOLLZUG Eine Ausbildung hilft dabei, ein neues Leben zu beginnen: Zwei Drittel derjenigen, die innerhalb eines Jahres einen Job finden, werden nicht rückfällig

Outsider Kunst

■ Mal- und Zeichenkurse gibt es in vielen deutschen Gefängnissen. Meist geht es dabei um ein Angebot „sinnvoller Freizeitgestaltung“. Doch das Projekt „Outsider Kunst“ will mehr: In drei Berliner Haftanstalten führt es wöchentlich Kunstkurse durch. Für die Teilnehmer besteht die Möglichkeit, nach ihrer Haftentlassung im „Offenen Atelier der Outsider“ weiter gefördert zu werden. Zudem können junge Frauen ohne Schulabschluss in der JVA Lichtenberg zur beruflichen Orientierung Kurse in handwerklichen und kreativen Techniken belegen. Infos unter: www.outsider-kunst-berlin.de

VON VOLKER ENGELS

Rund 6.200 junge Menschen saßen Ende März 2009 in Deutschland hinter Gittern im Jugendstrafvollzug. Was den meisten Inhaftierten wohl als verlorene Lebenszeit gilt, nutzen andere, um sich für die Tage nach dem Knast für den Beruf fit zu machen. Sie absolvieren eine Ausbildung, lernen Sprachen oder trainieren am Computer.

Seit Jahrzehnten aktiv in der beruflichen Qualifikation von Inhaftierten ist die Justizvollzugsanstalt (JVA) im nordrhein-westfälischen Iserlohn. Fast 300 Inhaftierte verbüßen hier eine Freiheitsstrafe, gut die Hälfte davon ist im geschlossenen Vollzug. Die stärksten Jahrgänge sind die 17- bis 21-Jährigen. „Vom kleinen Eierdieb bis zum Drogendealer oder Mörder reicht die Palette der Inhaftierten“, sagt ein Mitarbeiter der Anstalt.

Doch wenn sich die Anstaltstore hinter den jugendlichen Straftätern mitunter für Jahre schließen, entwickeln viele erstmals in ihrem Leben eine berufliche Perspektive, weiß Bern Rauscher, Koordinator für die berufliche Bildung in der JVA. „Einige der jungen Leuten sind von ihrer Inhaftierung ziemlich schockiert und ziehen Bilanz: Ich will in meinem Leben die Wende hinkriegen und die Zeit für eine Ausbildung nutzen.“

Und genau diese Chance bietet der Jugendknast Iserlohn: Zwölf Ausbilder, allesamt Meister mit einer pädagogischen Zusatzqualifikation, bilden die Inhaftierten hinter den Gefängnismauern aus. 24 Monate dauert zum Beispiel die Ausbildung zum Energieelektroniker oder zum Industriemechaniker, weitere zwölf Monate muss investieren, wer eine Ausbildung als Garten- und Landschaftsbauer machen will. „Die Ausbildung ist kürzer als eine Ausbildung in Freiheit, weil die Gefangenen keinen Urlaub haben und es keine Ferienzeiten gibt.“

Allein die Berufsschulzeit beträgt 16 Stunden in der Woche, bei Bedarf wird ein regelmäßiger Förder- oder Stützunterricht angeboten. Wer sich die Zeit für eine Ausbildung nimmt, profitiert auch finanziell: Rund 200 Euro bekommt ein Gefangener im Monat, wenn er in der JVA eine berufliche oder schulische Ausbildung absolviert. „Die Hälfte wird für die Entlassung angespart, den Rest investieren die Gefangenen zum Beispiel in Tabak oder Süßigkeiten.“

Träger der Ausbildungen ist das Berufsfortbildungswerk des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB), die Berufsschule findet in einer Kooperation mit einem Berufskolleg statt. Vergleichbare Ausbildungsangebote gibt es in den Jugendstrafanstalten aller Bundesländer.

„Die Prüfung nimmt die Industrie- und Handelskammer in Hagen ab, die auch den Gesellenbrief ausstellt“, so Raucher, der selbst Lehrer und Pädagoge ist. Der Vorteil: Zukünftige Arbeitgeber sehen nicht sofort, dass die Berufsausbildung im Knast stattgefunden hat. Die Erfolgsquote ist erstaunlich: Immerhin verlassen nach Angaben der Justizvollzugsanstalt Iserlohn zwischen 93 und 97 Prozent der Auszubildenden die Anstalt mit einer Lehrabschlussprüfung.

Viele Arbeitgeber in der Region haben ohnehin nur wenige Berührungsängste gegenüber den Absolventen: „Es gibt Kooperationen mit regionalen Arbeitgebern und einem Arbeitgeberverband“, sagt der Koordinator, der inzwischen seit 33 Jahren hinter Gittern arbeitet. Trotz der positiven Zahlen und der Erfolge in puncto Ausbildung hängen auch die Absolventen an der Konjunktur: „Wer es schafft, innerhalb eines Jahres einen Job zu finden, wird im Schnitt zu zwei Dritteln nicht rückfällig.“ Bei jungen Haftentlassenen, die keine Chance am Arbeitsmarkt haben, „verpufft fast alles, was wir gemeinsam in der Haft aufgebaut haben“. Die Rückfallquote ist hoch, sagt die Statistik.

Die Ausbildung ist kürzer, weil die Gefangenen keinen Urlaub haben

Für drogenabhängige Frauen, die inhaftiert sind, bietet das Frauen Computer Zentrum Berlin e. V. (FCZB) seit dem Jahr 2003 Computerkurse an. In einer Gruppe von zehn Frauen lernen die Teilnehmerinnen dreimal pro Woche unter anderem, wie man sich im Internet bewegt und mit Suchmaschinen umgeht. Sozialpädagoginnen mit einer IT-Zusatzqualifikation vermitteln als Trainerinnen den Frauen während der elfwöchigen Fortbildungen das nötige Wissen, um den „Computerführerschein“ nach ECDL-Standard (European Computer Driving License) zu erwerben. Die Prüfung wird in der JVA für Frauen abgenommen.

Weil die Nachfrage nach den Kursen größer ist als das Angebot, müssen sich die Inhaftierten bewerben. „Wir führen Auswahlgespräche, in denen die Bewerberinnen ihre Motivation erläutern müssen“, sagt die Fortbildungsleiterin Silke Brucker. Den letzten Kurs hätten sieben von zehn Teilnehmerinnen mit einem „Computerführerschein“ abgeschlossen, was ein „sehr gutes Ergebnis“ sei.

Es geht aber nicht allein darum, Computerkenntnisse zu vermitteln, die die Chancen auf dem Arbeitsmarkt verbessern: „Es ist auch wichtig, dass sich die inhaftierten Frauen mit ihrer Geschichte und möglichen Zukunftsperspektiven auseinandersetzen.“ Darüber hinaus werde ihnen vermittelt, „wie man selbst organisiert lernt“.

Dieser Ansatz scheint nicht nur die Inhaftierten zu überzeugen: Im Rahmen des Bundeswettbewerbs „Wege ins Netz 2009“ wurde das Berliner Projekt mit einem Geldpreis ausgezeichnet.

■ Infos unter: www.fczb.de, www.jva-iserlohn.nrw.de