Hitler lebt!

Wenn Stalin die Haushälterin befummelt: Der „Virtual History“-Film „Die Verschwörung“ (20.15 Uhr, RTL II) rekonstruiert den 20. Juli 1944 digital

VON CHRISTIAN BUSS

In den Schlafzimmern der Macht: Hitler rauft sich in der Wolfsschanze vom Feldbett hoch und lässt sich einen Medikamentencocktail spritzen. Churchill wacht in London ebenfalls gemartert auf, und ein kleiner Schwenk der Kamera zeigt den Grund für seine Malaise: eine Whiskey-Karaffe direkt neben dem Bett. Roosevelt, der an den Folgen von Kinderlähmung leidet, schafft es lediglich unter ärztlicher Aufsicht an seinen Schreibtisch. Nur Stalin ist das blühende Leben und befummelt nach dem Aufstehen erst mal seine Haushälterin.

Was für Aufnahmen! Die Tonspur knistert zuweilen so laut, dass man die Stimmen kaum hört; die Farben sind vergilbt, teilweise springen die Bilder. Das Material erweckt den Eindruck, als hätte es jahrzehntelang in irgendwelchen Kellern gelagert. In Wirklichkeit handelt es sich um computergenerierte Szenen: Der Discovery Channel hat sie von Schauspielern darstellen lassen und digital die Physiognomien der Staatsmänner einarbeiten lassen. „Virtual History“ nennen das die Verantwortlichen. Dass bei der Simulation die Gesichter unscharf bleiben, kommt dem Stand der CGI-Technik zupass: Wo der Computer nicht hinterherkommt, lenken die authentisch knackenden Impressionen von Ungenauigkeiten ab.

Was sollen uns diese Bilder erzählen? Vordergründig geht es um das Attentat, das Graf Stauffenberg vor 61 Jahren auf Hitler begangen hat. Doch der Vorfall ist hier mehr ein McGuffin, also ein Erzählkniff, um Spannung zu erzeugen. Man darf getrost das Vokabular des Thriller-Perfektionisten Hitchcock verwenden, denn in erster Linie geht es in „Die Verschwörung“ darum, Suspense zu schaffen. Stauffenberg – Sie wissen schon: der mit der Augenklappe und nur einer Hand – dient als Vorwand, um unterhaltsam die geostrategische Situation am 20. Juli 1944 als Konflikt in Szene zu setzen.

Interessanterweise wird dabei weniger Hitler denn Stalin als Gefahr für die zivilisierte Welt aufgebaut. Während der Führer nur noch ein drogenabhängiges Wrack ist, der in den Baracken der Wolfsschanze den Rückzug zu organisieren versucht (der unvermeidliche Hitler-Kenner Joachim Fest dazu im Film: „Er war nicht gut in der Defensive“), zeigt sich der Sowjetherrscher auf seiner Datscha nahe Moskau als viriler Machtmensch, der den Krieg nutzt, um sich Stück für Stück Europa einzuverleiben. Der militärische Aspekt des Zweiten Weltkriegs wirkt auf eigentümliche Weise individualisiert: hier die Agonie Hitlers, dort die Aggression und Potenz Stalins.

Wie im Echtzeitthriller „24“ schneidet man zwischen den verschiedenen Protagonisten hin und her; piepend wird jeweils jener Teil der digitalen Weltkarte fokussiert, zu dem die Erzählhandlung als Nächstes springt. So entfacht das Histotainment-Spektakel das größtmögliche erzähltechnische Wirrwarr: Zeitgenössischer Politthrill steht hier neben mühsam auf alt getrimmten Fake-Doku-Szenen, deren Close-ups und Zooms gelegentlich an die Spionagefilme von Lang oder Hitchcock erinnern. Schon dieses filmästhetische Klimbim entlarvt die historische Präzision als pure Angabe. Mag man die Parallelmontage im Stil von „24“ für eine geschichtliche Rekonstruktion sowieso als dubios empfinden – konträr zum selbst gesetzten Aufklärungsauftrag läuft sie spätestens dann, wenn die Zeitverschiebung zwischen Kalifornien und Mitteleuropa ignoriert wird.

Bei RTL II hat „Die Verschwörung“ immerhin ein optimales Programmumfeld gefunden: Der Geschichtsschocker aus Schlüssellochperspektive passt bestens zwischen „Big Brother“ und „The Twilight Zone“.