: Besser kühlen mit Efeu
FORSCHUNG Die am Hitzestress-Projekt beteiligten Forschungsgruppen werden ganz unterschiedliche Teilaspekte der Thematik untersuchen. Fünf Beispiele – von Fassadenbegrünung bis Demografie
Stadtklima
Seit Ende der 1980er Jahre messen die Klimatologen der TU das Berliner Stadtklima. Dafür zeichnen sie in Wetterstationen unter anderem Lufttemperatur und Luftfeuchtigkeit im Minutenabstand auf. Auch die einzelnen Bezirke werden ausgewertet: Wo weht der stärkste Wind? Welche Stadtteile werden im Sommer besonders heiß? Wo sind die meisten Menschen gefährdet? Im Hitzesommer 2003 etwa traten die meisten Fälle von Hitzestress in Steglitz-Zehlendorf auf. Das lag aber nicht daran, dass es im Berliner Südwesten besonders heiß gewesen wäre, sondern an der Altersstruktur der Bewohner. Nun wollen die Klimatologen aus allen gesammelten Daten Modelle berechnen, wie sich die Sommer in Berlin künftig entwickeln und auf die Menschen auswirken. Im Hinblick auf diese Voraussagen entwickeln alle übrigen Forscher des Projekts ihre Ideen.
Architektur und Pflanzen
Können Pflanzen Klimaanlagen ersetzen? Mit dieser und anderen Fragen wird sich die Gruppe „Klimagerechte Gebäude“ befassen. Wer schon einmal in einem vollständig mit Efeu überwucherten Haus war, weiß, dass dieses Gebäude innen kühler ist als andere. Das liegt am Schatten und der Verdunstungskälte der Pflanzen. Allerdings fehlen der Wissenschaft grundlegende Daten: Wie viel Grad weniger bringt welche Begrünung – bei wie viel Wasserverbrauch? Das soll nun gemessen werden. Zudem interessiert sich die Gruppe für die Abkühlungsleistung, die Grünflächen der Stadt im Vergleich zu versiegelten Asphaltflächen bringen. Im Gegensatz dazu betrachten andere Forscher die Abkühlung durch Klimaanlagen und überlegen, wie man diese stromsparender einsetzen könnte. Weitere Teilgruppen erproben, welche Gebäudeformen und -designs besonders viel Hitze abwehren.
Wechselwirkungen
Berlin ist vielfältig – das spiegelt das Projektmodul „Urbanes System“ wider. Zum einen geht es um Stadtplanung: Das Verhältnis der Grünflächen zur Dichte des Gebäudebestands – aber auch aus welchen Materialien die Häuser gebaut und wie hoch sie sind –, beeinflusst stark, ob es in einem Viertel bei großer Hitze auszuhalten ist oder nicht. Wenn man davon ausgeht, dass die Berliner solche Aspekte künftig in ihre Entscheidung für oder gegen eine Wohnung einfließen lassen müssen – was bedeutet das für die Entwicklung der Stadt? Per Software wird simuliert, welche Stadtteile in Zukunft begehrter werden könnten und wo sich die Stadt eher leert. Ein weiterer Aspekt sind die politischen Voraussetzungen: Was müsste getan werden, damit Ideen der Forscher umgesetzt und etabliert werden können? Welche rechtlichen, politischen und verwaltungstechnischen Konstellationen hemmen Innovationen und welche fördern sie? Konkret geht es etwa darum, rechtliche Grundlagen wie das Baugesetz entsprechend zu reformieren, damit „kühl“ gebaut werden kann. Dazu sollen Ideen aus anderen Städten auf Berlin angewendet werden. Auch Nichtregierungsorganisationen und die BerlinerInnen selbst sollen zu Wort kommen.
Innenräume
Am besten könne man sich vorstellen, was diese Forschungsgruppe macht, wenn man sich ein Krankenhaus vorstellt, sagt der Klimatologe Wilfried Endlicher von der HU: In jedem Zimmer liegen kranke Menschen, aber einige haben ein Zimmer auf der Südseite, andere liegen im Dachgeschoss, wieder andere im Souterrain. In jedem Zimmer wird es für den Kranken im Sommer unterschiedlich angenehm sein, weil das Gebäude der Hitze unterschiedlich ausgeliefert ist. Entsprechend haben manche größere Probleme bei der Genesung. Wie genau sich tagelange Hitze auf Innenräume auswirkt und welche Rolle Luftfeuchtigkeit und Sonneneinstrahlung für das Klima in den Zimmern spielen, will diese Projektgruppe herausfinden. „Wir leben schließlich meistens drinnen und nicht draußen“, sagt Endlicher. Die Forscher wollen in Seniorenheimen und Kliniken Temperatur und Feuchte bei unterschiedlichen Wetterbedingungen messen. Diese Daten werden mit den Krankheitsverläufen von Patienten in den Zimmern abgeglichen. Daraus lassen sich Simulationen erstellen, die die Wahrscheinlichkeit für Hitzestress in einem Zimmer vorhersagen.
Medizinische Aspekte
In dem Teilprojekt „Hitzestress Vulnerabilität“ wird es darum gehen, welche Auswirkungen Hitzestress auf die menschliche Gesundheit und Lebensqualität hat. Aus vergangenen Hitzewellen weiß man, dass ältere Menschen und Kleinkinder gefährdet sind, aber auch Personen mit Erkrankungen des Kreislaufs, der Lungen und der Nieren. Ihr Zustand verschlechtert sich, wenn ihnen heiß ist. Daher wollen die MedizinerInnen erforschen, welche gefährdeten Gruppen bei Hitzewellen ganz besonders beobachtet werden müssen und wie man sie schützen kann.
Zum Beispiel müssen bestehende Medikationen oder Diäten angepasst werden. Zudem planen die Forscher, besonders gefährdete Gebiete im Berliner Stadtgebiet mit Hinblick auf die dortige Demografie identifizieren. Wo ist es im Sommer für wen besonders gefährlich? Dabei stellen sie sich auch die Frage, ob die Betroffen vor Ort die Mittel und Möglichkeiten hätten, sich an die Bedingungen anzupassen – etwa durch Verhaltensänderungen, wie sich zu schonen und viel zu trinken –, oder ob man weitere Schutzmaßnahmen ergreifen muss. MH