: Jagd auf die letzte Margarita
COMIC Aisha Franz begeisterte Publikum und Kritik mit ihrem ersten Comicband „Alien“. In ihrem neuen Werk „Brigitte und der Perlenhort“ schickt sie eine Hündin als Geheimagentin auf gefährliche Mission
VON ELISE GRATON
Das Publikum in der Berliner Buchhandlung Ocelot wird langsam ungeduldig. Eine ältere Dame vermutet technische Probleme, während drei hibbelige Jungs sich bei der Leitung des Ladens nach einer Toilette erkundigen. Um die 40 Leute warten gespannt auf Aisha Franz’ Präsentation ihres neuen Comicbuchs „Brigitte und der Perlenhort“.
Kaum stellt sich schließlich die 28-jährige Autorin und Illustratorin ans Mikro, sagt sie nur: „Ich muss noch kurz was holen“, um erneut zu verschwinden. Also starrt man weiter auf die Leinwand, auf die eine Zeichnung einer zierlichen Hündin mit schwarzeckiger Brille und schicken Netzstrümpfen projiziert wird. Zumindest weiß man jetzt: Die tierische Protagonistin des neuen Werkes ähnelt ein wenig dem Menschen Aisha Franz.
Die perfekte Tarnung
Als Franz zurückkehrt, trägt sie keinen roten Rock mit weißem Seidenhemd mehr, sondern einen schwarzen, körperengen Overall und kaut kräftig an einem Kaugummi. Sie stellt sich vor: „Aisha Franz. In Wahrheit heiße ich anders. Die Bekanntgabe meines echten Namens würde aber euer und mein Leben gefährden.“
Sie sei Geheimagentin, in der Öffentlichkeit gebe sie sich zum Schutz ihrer Identität als Comiczeichnerin aus: „Die deutsche Comicszene ist ja recht klein, ziemlich unbeachtet und so gut wie ausschließlich mit sich selbst beschäftigt – die perfekte Tarnung.“ Über ihr neues Alibiwerk meint Franz: „Es ist semiautobiografisch.“
In „Brigitte und der Perlenhort“ erfährt man, was in Wahrheit mit all den entlaufenen, verschollenen und nie wieder aufgetauchten Hunden, Katzen und Hamstern geschieht: Sie werden zu GeheimagentInnen. So ist es jedenfalls der Hündin Brigitte ergangen – Franz’ Hauptfigur. Für das Haustierleben war sich Brigitte zu schade und entflieht des Nachts ihrer Adoptivfamilie. Als sie einen Tierheimmitarbeiter, der sie fangen will, umbringt, wird sie noch am Tatort von einem geheimnisvollen Mann im Regenmantel als Agentin angeheuert: „Da, wo ich arbeite, können wir Charaktere wie dich gut gebrauchen.“
Seitdem wedelt sich Brigitte munter von einer Mission zur nächsten. Ihre wichtigste lautet: Die weltweit letzte Margarita, eine „schwarzlippige Perlenauster, die als Einzige die Fähigkeit der unendlichen Perlenproduktion besitzt“, ausfindig zu machen. Brigitte rennt, stürzt, knurrt, tötet und wird verletzt. Gekonnt reduziert Aisha Franz die Agentenfilmsprache auf seine Floskeln und vermischt das Ganze mit unerwarteten Anspielungen auf Otis Redding oder Hans Fallada. Die in der Muschel kaum versteckte Metapher schillert ständig als Leitmotiv hervor: Hund oder Herr, alle sind scharf darauf, das Geheimnis der weiblichen Sexualität zu ergründen.
Damit wirkt „Brigitte und der Perlenhort“ thematisch wie eine Fortführung ihres vom Publikum und der Kritik gefeierten Debüts „Alien“, das die Innenansichten eines pubertierenden Mädchens, ihrer sexuell aufblühenden großen Schwester und deren vereinsamter, alleinerziehender Mutter in Bild und Wort übersetzt. Ihrem liebenswürdigen, gekonnt versauten Scribble-Stil ist Franz im neuen Buch treu geblieben: Die Zeichnungen wirken wie Skizzen auf Kohlepapier. Der Comic erschien zuerst als vierteiliges Fanzine – selbst kopiert, geschnitten und geheftet.
Der nun veröffentlichte Band ist ebenso charmant und witzig, erreicht aber nicht die eindringliche Kraft und Tiefe des Erstlings „Alien“ – trotz der gebrochenen Figur der Brigitte, die ihren romantischen Hang mit „Anti-Love-Pills“ bekämpft, unendlich einsam ist und darunter leidet, dass sie nie Mutter werden kann: In filmreifen Rückblenden erfährt man, wie sie noch im zarten Welpenalter sterilisiert wurde. Als Aisha Franz bei der Präsentation die chirurgischen Szenen über die Leinwand ziehen lässt, macht sie das ängstliche „Piep, piep!“ der kleinen Brigitte auf dem Operationstisch nach. Das Publikum lacht.
■ Aisha Franz: „Brigitte und der Perlenhort“. Reprodukt, Berlin 2012, 192 Seiten, 16 Euro