piwik no script img

Archiv-Artikel

Wortreiches Schweigen

LITERATUR Der Moralist Erwin Strittmatter hat mit einer Lüge gelebt. Für ihn dürfte das die Höchststrafe gewesen sein

„Albtraum in schöner Landschaft“ nennt Sohn Erwin seine Schulzenhofer Zeit

VON ANJA MAIER

Der Mensch sucht und sucht nach einem System, das ihm erlaubt, reibungslos in der Gesellschaft zu leben.“ Erwin Strittmatter schrieb diesen Satz in seinem autobiografischen Roman „Der Laden“, erschienen 1987. Strittmatter war damals ein 75 Jahre alter Großschriftsteller. Seine Romane und Novellen „Der Laden“, „Der Wundertäter“ oder „Die blaue Nachtigall“ waren Pulszeichen der DDR; Strittmatter konnte Geschichten und Zeitläufte fühlbar machen. Er war ein Autor, dessen Werk seinen Lesern viel bedeutete: Poesie, Orientierung, das Wissen um das universelle Dasein des Einzelnen im Kosmos.

In diesem Sommer jährt sich Strittmatters 100. Geburtstag. Es gibt nun zwei Bücher, die seinen Satz vom „reibungslosen Leben“ in neuem Licht erscheinen lassen: Strittmatter, der in seinen Büchern stets den Eindruck des Geworfenen vermittelte, des Sensiblen unter den Unverständigen, war auch noch jemand anderes. Er war zeitweilig, das zeigt die Biografie der Historikerin Annette Leo, ein Nazi. Und er war, das liest man in seinen von Almut Giesecke herausgegebenen Tagebüchern aus den Jahren 1954 bis 1973, ein Egomane.

Um sein Leben „reibungslos in der Gesellschaft“ führen zu können, hat Strittmatter sein ganzes Leben lang gelogen. Er hat sich verborgen und verbogen und sich eine Biografie herbeigetrickst, die die Grenzen zwischen Erlebtem und Erschriebenem immer weiter verwischte. Am Ende galt er – der im Zweiten Weltkrieg einem Polizeibataillon angehört hat, das an Kriegsverbrechen beteiligt war – der literarischen Öffentlichkeit gar als Kriegsgegner, dessen „Gewehrlauf nie eine Kugel verlassen hat“.

Kein Antifaschist

In seinen in der DDR erschienenen Büchern stand in den biografischen Angaben: „Im Zweiten Weltkrieg Soldat, desertierte er gegen Ende des Krieges.“ Kein Wort über diese Jahre – dabei hatte Strittmatter vergeblich versucht, Mitglied der Waffen-SS zu werden. Kein Wort über die Verbrechen, die seine Einheit begangen hat. Als Mitte der Siebziger beim ZK der SED gemunkelt wurde, dass der Genosse Strittmatter „kein Antifaschist gewesen sein soll“, wurden seine offensichtlichen Falschangaben einfach ignoriert. Zu groß war bereits sein internationaler Ruhm.

Man muss gar nicht so viel über Strittmatter wissen, um zu begreifen: Dieses Vertuschen, die Angst vor Entdeckung muss ihn, den Moralisten, nach dem Krieg endlos viel Kraft und Selbstachtung gekostet haben. Und es mag ihm dies eigenbrötlerische Leben aufgezwungen haben, das er geführt hat: schreibend auf einem Hof in den Wäldern Brandenburgs, sich immer wieder dem Zugriff des Staates, des Literaturbetriebs entziehend. Er wusste so gut wie jeder andere: In der DDR mit ihrem antifaschistischen Gründungsmythos wäre er mit seiner Vergangenheit allenfalls schreibender Arbeiter geworden – sicher nicht erster Sekretär des Schriftstellerverbandes, Vorzeigegenosse und Bestsellerautor.

Dennoch, leid tun muss er einem nicht.

In ihrer sehr lesenswerten Biografie belegt Annette Leo, dass Strittmatter in den Vierzigerjahren einem Polizeiregiment angehört hat, das der SS unterstellt war. Sein Bataillon hat in Slowenien Kriegsverbrechen verübt – ob Strittmatter getötet hat, geht aus seinen nun zugänglichen Briefen nicht hervor. Aber selbst wenn Strittmatter tatsächlich nie geschossen hat, wenn er, wie er später behauptete, überhaupt nur Schreiber war – gesehen, gewusst hat er vieles. Im Januar 1942 schreibt er an seine Eltern aus Slowenien: „Dann nehmen wir es (das Dorf) endlich und brannten alles nieder.“ Anschließend schildert er ihnen, was für „reiche Beute“ sie an Kühen und Pferden gemacht haben. Und dann: „Nun holen wir zum Hauptschlag aus. Die Banden sind immer noch nicht ganz aufgerieben.“

Als vor Kurzem Strittmatters Sohn Erwin Berner der Historikerin Annette Leo die stets geheim gehaltenen Kriegsbriefe seines Vaters übergab, sagte er: „Sein Werk ist so groß, es wird das aushalten.“ Wird es das?

Wer sich dem Nachkriegs-Strittmatter zuwendet, trifft in dessen Tagebüchern einen bitteren, rechthaberischen Menschen. Einen Mann in der Mitte seines Lebens, der mit seiner dritten Ehefrau Eva aufs Land gezogen ist. Aus dem grüblerischen Bauernsohn ist ein Großautor voller Weltekel geworden.

Erwin Strittmatter – zweimal geschiedener Vater von vier Söhnen – hat Anfang der Fünfzigerjahre die achtzehn Jahre jüngere Germanistin Eva Braun kennengelernt. Mit ihr, die ihm fortan bis zu seinem Tod 1994 eine Mischung aus Muse und Magd sein wird, zieht er fort aus Berlin, nach Brandenburg. In den Wäldern bei Neuruppin leben und arbeiten sie – Evas Sohn Ilja, sein Sohn Knut und der gemeinsame Sohn Erwin werden zur Großmutter gegeben. Dass die 1958 und 1963 geborenen Söhne Matthes und Jakob in Schulzenhof aufwachsen, verdankt sich ihrer Rebellion gegen diese Abschiebepraxis.

Die Familie muss sich dem Werk des Vaters unterordnen. Verstöße werden mit Jähzorn, auch mit Prügel bestraft. „Albtraum in schöner Landschaft“ nennt Sohn Erwin seine Schulzenhofer Zeit. In seinen Tagebüchern schildert der Vater wiederholt, dass ihn die Kinder beim Schreiben stören und wie sehr er Eva und ihren literarischen Sachverstand für sich, für sein Schreiben braucht. Als 1958 Erwin jr. in Schulzenhof den fünften Geburtstag feiert, notiert Strittmatter: „Ich muss den ganzen Tag darauf achten, dass ich ein freundliches Gesicht mache, damit ich niemanden ,verletze‘. Lärm im Hof und im Garten.“

Kampf mit Dämonen

Aus dem grüblerischen Bauernsohn ist ein Großautor voller Weltekel geworden

Und über Knut notiert er im Januar 1957: „Ich will keinen Sohn mit ,zwei linken Händen‘ in die Welt schicken. Knut reißt seinen Tauben heulend die Köpfe ab.“ Im nächsten Eintrag dann, der Dichter hat verschlafen und ist „böse auf jedermann“: „Endlich – das Evchen durchstrahlt mich mit ihrer Liebe, redet mir zu wie einem bockigen Kinde. […] Es wurde ein guter, harmonischer Tag, an dem wir wieder einmal stark fühlten, was für eine Einheit wir in Bezug auf die Kunst und die Arbeit bilden.“

Es ist schwer erträglich, zu lesen, wie dieser Mann, der in seinen Büchern berührend über Liebesdinge schrieb, das Selbstbestimmungsrecht seiner eigenen Frau missachtete. Die Frau als Gefährtin, die zugunsten der Arbeit ihres Mannes und dessen Karriere auf ein eigenes Leben verzichtet; die Kinder, die diese Frau gebiert, als sei der Vater ein zufällig Anwesender – dies ist Strittmatters Geschlechterverständnis. „Ich stehe wie ein Klotz im Strome des Familienlebens“, notiert er 1958, „jeder Schwimmer trägt Unsicherheit im Gesicht, wenn er meiner ansichtig wird.“

Eva Strittmatter, das sei gesagt, hat sich später von dieser Zuschreibung befreit. Ab Mitte der Siebzigerjahre veröffentlichte sie zahlreiche Gedichtbände und blieb bis zu ihrem Tod 2011 eine erfolgreiche Dichterin. Die Poesie war ein Feld, das ihr Ehemann nicht besetzt hielt.

Der kämpfte in den Schulzenhofer Jahrzehnten mit sich und seinen Dämonen. Von 1959 bis 1961 war er Erster Sekretär des DDR-Schriftstellerverbandes. Er ertrug das Amt in dieser Zeit der ideologischen Grabenkämpfe gerade so – bis er krank wurde und man ihn ziehen ließ. Auch das war Strittmatter: der Genosse, der gestalten wollte, im Körper des Autors, den es grauste vor den „Parteikatholiken“.

So hart er gegen sich selbst war, so gemein konnte er auch gegenüber Querdenkern werden. Als 1957 Walter Janka, der Direktor des Aufbau-Verlages, in einem Schauprozess zu einer Haftstrafe verurteilt wird, schrieb Strittmatter, ohne gewahr zu werden, dass er der nächste sein könnte: „Die Strafvollstreckung in solchen Fällen sollte anders geschehn. Etwa wie jetzt in China. Zurück zur Handarbeit mit dem Lohn einfacher Handarbeiter auf Staatsfarmen.“

Später wird er sich in seiner DDR-Nische eingerichtet haben, der Eremit vom Schulzenhof. Er wird Distanz halten zur Partei. Er wird Bücher schreiben, die Millionen Menschen lesen. Als er 1972 wieder mal einen Orden verliehen bekommt, notiert er in sein Tagebuch: „Ich schrieb den ganzen Tag ,Dankeschön-Schreiben‘ … Was für eine Scheiße! Muss man sein Leben wirklich so verbringen?“ Ja, das musste Strittmatter. Er wollte schreiben, er wollte gelesen werden. Das hat er geschafft. Aber er musste dafür zahlen. Mit Selbsthass und Todesgedanken. Mit einer schlimmen Lebenslüge und der Angst vor Entdeckung. Für einen Wahrheitssucher wie ihn muss das die Höchststrafe gewesen sein.

 Annette Leo: „Erwin Strittmatter. Die Biographie“. Aufbau Verlag, Berlin 2012, 448 Seiten, 24,99 Euro

 Erwin Strittmatter: „Nachrichten aus meinem Leben: Aus den Tagebüchern 1954–1973“. Aufbau Verlag, Berlin 2012, 601 Seiten, 24,99 Euro