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Archiv-Artikel

Zicke und Biedermann

SCHWIMMEN Sie ist unberechenbar, er absolut verlässlich. Britta Steffen und ihr Freund Paul wollen mit Erfolgen im Becken zum olympischen Traumpaar aufsteigen. Doch der Druck auf die beiden ist enorm

Britta Steffen

■ Ihr Programm: Heute um 20.40 Uhr gilt’s zum ersten Mal für Britta Steffen. Die 4x100-Meter-Kraulstaffel steht an. Am Donnerstag folgt für sie das Finale über 100 Meter (20.34 Uhr), die Königsdisziplin des Schwimmsports. Am kommenden Samstag stehen um 19.30 Uhr die 50 Meter Freistil an. Ob sie auch am selben Abend in der Lagenstaffel antritt, ist noch offen, denn sie müsste eine knappe Stunde nach den 50 Meter Freistil ran.

AUS BERLIN JENS UTHOFF

Sie ist kaum zu halten. Britta Steffen springt aus dem Becken und zack, hüpft sie vor die Kameras. „Ich bin total gelöst“, sagt sie, „ihr seht das ja an meiner Laune.“ Die ist hervorragend. Steffen ist wieder da. Sie ist in Form. Der erste Druck ist weg nach den lockeren Siegen hier bei den Deutschen Meisterschaften, Mitte Mai. „Jetzt schau ich mir noch in Ruhe meinen Paul an.“ Ihr Paul, das ist Paul Biedermann. Der gewinnt später auch. Alles schart sich um das deutsche Schwimmpaar.

Jetzt, in London, ist für Biedermann und Steffen die Rolle des olympischen Traumpaars vorgesehen. Die Erwartungen an die beiden Schwimmer sind hoch. Sie sind dazu verdammt, Medaillen zu gewinnen. „Olympia kann richtig, richtig gut werden“, sagt Steffen, „ich fühle mich gut, ich mag mich so, wie ich bin.“ Doch ein Moment der Unsicherheit bleibt: „Wie meine Form in London aussehen wird, das werden wir vor Ort sehen. Das wird auch für mich eine kleine Überraschung sein.“

Ob beide dem öffentlichen Druck standhalten können? Zuletzt wirkten sie stark. Aber die Fallhöhe ist enorm. Biedermann versucht das auszublenden: „Ich habe ein relativ dickes Fell.“ Ob Steffen das auch gelingen wird, ist fraglich.

Seit Anfang 2010 sind die beiden liiert. Dabei verkörpern sie zwei völlig verschiedene Typen. Steffen ist die launische Zicke: Gewinnt sie, will sie die Welt umarmen, verliert sie, huscht sie auch mal bockig davon. Ihre Leistungen schwanken stark. Bei der WM 2011 in Schanghai reiste sie ab, weil sie nur Sechzehnte wurde – im Vorlauf. Beliebt ist sie seither nicht mehr im deutschen Team, allenfalls respektiert.

Biedermann hingegen steht für Wertarbeit und Konstanz. Der Hallenser kämpft sich durch, wenn es nicht läuft. Seit 2007 schwimmt er durchgehend auf Weltklasseniveau. Der 25-Jährige ist ein Durchbeißer mit großem Ehrgeiz. In der deutschen Schwimmermannschaft gilt er als Teamplayer.

Freundin Steffen startet 1999 ihre Karriere mit einer Hypothek. Die neue „Franzi“ soll sie werden. Die 16-Jährige hat die besten Voraussetzungen, um van Almsick abzulösen. Aufgewachsen in Schwedt, besucht sie mit zwölf Jahren das Potsdamer Sportgymnasium. In der Jugend geht es sportlich nur bergauf. Bei der Junioren-EM 1999 holt sie sechsmal Gold.

Aber so goldig geht es nicht weiter. Frust, Verletzungen, Psychoblockaden folgen. Bei Olympia in Sydney 2000 wird sie nur beim Staffelvorlauf berücksichtigt, 2004 das gleiche Spiel. Britta Steffen schmeißt hin, meldet sich als Kaderathletin ab. Sie beginnt zu studieren.

Der Leistungssport aber lässt sie nicht los. Ein halbes Jahr später kehrt sie zurück. Sie stellt die Mentaltrainerin Friederike Janofske ein. Aus Steffen soll wieder ein Winnertyp werden. Das Ergebnis: Bereits bei der EM 2006 in Budapest holt sie zwei Goldmedaillen, zwei Jahre später ist sie bereits die Schwimmkönigin von Peking. Sie gewinnt Gold, gleich zweimal.

„Ich kann jetzt schnell schwimmen, weil ich das Menschsein gelernt habe“, sagt sie 2006. Es macht den Eindruck, als habe sie erst hier entdeckt, dass eine Außenwelt neben dem Schwimmbecken existiert.

Erst 2011 zeigt sich wieder die alte Steffen. Sie scheitert bei der WM. Vorher soll sie, ihrem Trainer Norbert Warnatzsch zufolge, in Topform gewesen sein. „Wahrscheinlich muss Britta Steffen jetzt eben auch mal lernen, dass es nicht immer nur gut geht, wenn man gut vorbereitet ist“, sagt sie. Sie spricht von sich wie von einer Fremden. Doch sie kommt wieder zu sich und schafft in diesem Jahr ein Comeback.

Auch Paul Biedermann kommt mit 12 Jahren zum Leistungssport. Er lässt bereits bei den Junioren mit internationalen Medaillen aufhorchen. Aber auch Biedermann hat Probleme beim Übergang in den Profisport. Er kann sich aber steigern. 2006 ist er Siebter in Europa, ein Jahr später Siebter der Welt. Peking 2008 ist der nächste Schritt: Dort wird er Fünfter über 200 Meter. Der solide Arbeiter tastet sich vor.

Paul Biedermann

■ Sein Programm: 400 Meter, acht Bahnen. Der Start erfolgt heute um 19.49 Uhr. Biedermann muss sich gegen Olympiasieger Park Taehwan (Südkorea) und den Chinesen Sun Yang durchsetzen. Am Montag folgt das Finale über 200 m Freistil (19.41 Uhr), am Dienstag wird er einen Staffeleinsatz haben: 4x200 m (20.47 Uhr). „Ich bin Tests geschwommen, die ich vorher so noch nie schnell geschwommen bin“, sagt er.

Seine große Stunde kommt 2009: Bei der WM schlägt er Überschwimmer Michael Phelps im WM-Finale – allerdings mit einem Ganzkörperschwimmanzug. Zu dieser Zeit sind die Hightech-Textilien noch erlaubt und lassen die Rekorde purzeln. Er (mit Anzug) deklassiert Phelps (ohne Anzug) in 1:42,00. Neuer Weltrekord. Auch die 400 Meter gewinnt er. Zwei Jahre später schlägt er Phelps beim Weltcup in Berlin dann auch ohne den Superanzug. Phelps sah er selbst aber immer in einer anderen Liga: „Ich bin nur die nervige Mücke, die um ihn herumfliegt: Mal stech ich, mal erwischt er mich.“

Technisch verbessert er sich weiter, er selbst kritisiert an seinem Stil bisweilen, dass er zu sehr hackt und peitscht. Nun werden seine Armzüge sauberer. Bei der WM 2011 in Schanghai ist er einer der wenigen Deutschen, die überzeugen. Er gewinnt zweimal Bronze. Biedermann ist heute die kraulende Verlässlichkeit im deutschen Team. Verglichen mit Steffen wirkt der 1,92 Meter große und 95 Kilogramm schwere Athlet solide, er ist keiner, der polarisiert. Er will Olympia 2016 in Rio noch mitnehmen. „Dann bin ich 30 Jahre und habe noch genug Zeit zum Arbeiten“, sagt er. Steffen und Biedermann sind dank potenter Sponsoren mit je 1,5 Millionen jährlich Top-Verdiener im Olympiateam.

Mit Dopingverdächtigungen wurden sowohl sie als auch er schon konfrontiert. Steffen durch die Tatsache, dass ihr Trainer Warnatzsch zu DDR-Zeiten an Anabolika-Tests mitgewirkt hat. Biedermann, weil er den schwimmenden Übermenschen Phelps besiegt hat.

Biedermann könnte in London wieder zustechen. Über die Königsdisziplin 200 Meter muss er diesmal andere pieksen als Phelps, der über diese Distanz nicht startet. Der US-Amerikaner Ryan Lochte oder der Franzose Yannick Agnel sind seine härtesten Gegner. Heute startet Biedermann bereits über 400 Meter.

Am Abend wird Steffen vom Startblock springen, mit der 4x100-Meter-Freistilstaffel. In der kommenden Woche startet sie im Einzel. Vielleicht tritt sie dann mit ihrem größten Triumph ab. Vielleicht schmeißt sie aber auch alles hin.