: Der Staatsoberhauptsdarsteller
Horst Köhler ist offensichtlich kein großer Redner. Diese Erkenntnis verdankt sich weniger dem Inhalt seiner Ansprache als vielmehr seiner Körpersprache
VON STEFAN KUZMANY
Es bleibt ein unbehagliches Gefühl. Nicht etwa wegen der Entscheidung. Sämtliche politischen Beobachter und die Mehrheit der Bürger hatten längst erwartet, dass der Bundespräsident der vorgezogenen Neuwahl zustimmt. Die interessante Frage war also weniger, was Horst Köhler mitteilen würde. Viel spannender war die Frage: Wie sagt’s der Präsident den Bürgern?
Die Beurteilung der Performance des Staatsoberhauptes ist dabei immer von parteipolitischen und persönlichen Präferenzen und Ressentiments gefärbt. Horst Köhler, obschon laut Umfragen der zurzeit beliebteste Politiker in Deutschland, hat bei Linken keinen leichten Stand. So ist es kein Wunder, dass, wer Köhler sowieso nicht ausstehen kann, nicht lange nach Gründen dafür suchen muss, sich über seinen Auftritt lustig zu machen: dieser maskenhafte, starre Blick; das stockende Ablesen der Rede. Und trägt der Mann eigentlich ein Toupet? Sich über derlei zu mokieren ist wohlfeil.
Enthalten wir uns also der Häme – versuchen es wenigstens – und betrachten, was Horst Köhler am Donnerstagabend tatsächlich getan hat, als er seine Entscheidung für Neuwahlen verkündete. Oberflächlich betrachtet: nichts Besonderes. Er saß im Bundespräsidialamt. Das Setting war ungewöhnlich: nicht die von früheren Ansprachen gewohnte Schreibtischsituation – das Schloss Bellevue wird gerade renoviert –, sondern eine blaue Wand mit kleinen Bundesadlern darauf im Hintergrund. Der Präsident, neben sich die Staatsflagge, wurde ab 19.30 Uhr in statischer Naheinstellung von Kameras der ARD gefilmt, das Material ab 20.15 Uhr interessierten Sendern zur Verfügung gestellt.
Horst Köhler, der 1982 selbst einmal als Redenschreiber für den damaligen Finanzminister Gerhard Stoltenberg (CDU) angefangen hat, ist offensichtlich kein großer Redner. Dieser Umstand offenbart sich nicht unbedingt im Inhalt seiner Rede, über deren Einzelheiten man sicher streiten kann: Tragen die Kinderlosen die Schuld an der schlechten wirtschaftlichen Lage des Landes, wie Köhler unterstellt? Ist es tatsächlich ein Problem, dass „wir immer älter“ werden – und nicht viel mehr eine Folge von Wohlstand und verbesserter medizinischer Versorgung, mithin also ein Anlass zur Freude?
Wie gesagt, darüber lässt sich streiten. Unstrittig dürfte hingegen sein: Köhlers Fähigkeiten in Mimik, Gestik und Betonung sind eng begrenzt. Seine Betonung war stets gleichförmig, manchmal falsch. Es schien, als habe Köhler den Inhalt seiner Rede nicht präsent und sei so stark auf die elektronische Anzeige, den Teleprompter, angewiesen, dass er, überrascht vom Fortgang eines schon beendet geglaubten Satzes, hilflos die Fortsetzung suchen musste und dabei die Stimmlage unpassend hob und senkte. Seine Hände brachte der Präsident nicht zum Einsatz, um das Gesagte zu unterstreichen. Stattdessen bekräftigte Köhler ihm Wichtiges mit Nicken. Besonders Wichtiges („die Zukunft unserer Kinder“) begleitete er mit einem Anheben der Brauen.
Bemerkenswert sind die Stellen in Köhlers Rede, zu denen er nicht selbstbekräftigend nickte, sondern den Kopf schüttelte – wie um dem zu widersprechen, was er da zwar gerade sagt, aber selbst nicht für wahr hält: „Die Lagebeurteilung des Bundeskanzlers hat mir auch der Vorsitzende der SPD-Fraktion aus seiner Sicht bestätigt. Ich weiß (Kopfschütteln): Viele Menschen haben in den vergangenen Wochen Unbehagen wegen des Verfahrens empfunden, das eingeschlagen worden ist. Sie zeigen damit, wie wichtig ihnen das Grundgesetz ist. Darüber freue ich mich (Kopfschütteln).“ Später dann: „Ich habe Respekt (Kopfschütteln) vor allen, die gezweifelt haben.“
Gegen Ende der Ansprache war, will man diesen subtilen Körpersignalen Bedeutung schenken, Beunruhigendes zu beobachten. Köhler sprach die eigentlich zuversichtlich gemeinten Sätze: „Ich bin ganz sicher: Wir haben die Begabung und die Fähigkeit, unsere Freiheit zu sichern und einen modernen Sozialstaat zu gestalten.“ Nicht nur fügt Köhler hier das überflüssige Wort „ganz“ vor dem Wort „sicher“ ein, was dessen Bedeutung zumindest abschwächt, wenn nicht sogar ins Gegenteil verkehrt – er schüttelt dazu noch den Kopf, wenn er an die Zukunft des Landes denkt.
Es bleibt der Eindruck: Hier sprach kein Staatsoberhaupt, sondern ein Staatsoberhauptsdarsteller, ein schlechter mithin. Hier sprach einer, der den Eindruck machte, er wisse selbst nicht, was er sagt. Es bleibt ein unbehagliches Gefühl.
Köhlers Rede: www.tagesschau.de