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Archiv-Artikel

Gewollt nichtiges Gesetz

Nicht gegendarstellungsfähig (XII): Eisenbergs juristische Betrachtungen. Heute: Der europäische Haftbefehl

Die Krokodilstränen sind groß: Nachdem erwartungsgemäß das Bundesverfassungsgericht das Gesetz über den Europäischen Haftbefehl für nichtig erklärt hat, und neben dem angeblichen deutsch-syrischen Terroristen (der sich in Deutschland nicht strafbar gemacht hat) zwanzig weitere Deutsche aus der Auslieferungshaft entlassen wurden, richtet sich der veröffentlichte Unrast von Gesetzgebern, Regierung und Polizeibehörden wieder einmal gegen das Gericht.

Dabei gibt es dazu keinen Anlass: Seit spätestens November 2004 musste jeder um die Bedenken gegen das Gesetz wissen. Denn es gibt die ungeschriebene Regel, dass – wenn das Gericht eine einstweilige Anordnung erlässt – auch die endgültige Entscheidung der einstweiligen Anordnung folgt. Im November 2004 hatte das Gericht die Auslieferung bereits per einstweiliger Anordnung gestoppt.

Die Art und Weise, wie dieses Gesetz zustande kam, drückte ihm das Kainsmal verfassungsrechtlicher Angreifbarkeit auf: Abgeordnete, die vom Gericht gehört wurden, räumten ein, dieses Gesetz nur unter größten Bedenken „durchgewunken“ zu haben. Ein trauriges Bild: Abgeordnete beschließen Gesetze, ohne die eigene Verfassung zu beachten, um sich „europatreu“ zu verhalten. Leider – und das ist tatsächlich an der Karlsruher Entscheidung zu kritisieren – setzt sich das Urteil mit diesem grundsätzlich demokratiedefizitären Verhalten des Bundestags nicht auseinander, sondern stellt nur fest, dass die Grundrechte der Deutschen nicht genügend geschützt wurden.

Seit November 2004 hätten auch die deutschen Strafverfahren gegen die etwa zwanzig Deutschen, die in Auslieferungshaft genommen waren wegen ausländischer Zulieferungsbegehren wegen „Mord, Rauschgifthandel, Vergewaltigung“ gefördert und die angeblich im auslieferungsbegehrenden Land vorhandenen Beweismittel beschafft werden können. Wer in Spanien vergewaltigt, kann auch in Deutschland dafür bestraft werden. Hätten die Behörden ihre Pflicht erfüllt, dann wären diese „Mörder“, „Dealer“ und „Vergewaltiger“ jetzt nicht aus der Auslieferungshaft „entlassen“, sondern in die Deutsche Untersuchungshaft überführt worden. Dem Publikum wäre der Schauder, dass zwanzig Verbrecher jetzt unbehelligt unter uns leben dürfen, erspart geblieben. Liest man das Urteil des Bundesverfassungsgericht, so entsteht unweigerlich der Eindruck: Der Gesetzgeber wollte ein nichtiges Gesetz! Ein Fall von Obstruktion also. Berlusconi kann da noch viel lernen. JONY EISENBERG