Ein Heiligenschein für Erika

KUNST Ruth Wolf-Rehfeldt benutzte die Schreibmaschine wie einen Pinsel oder Bleistift. Die Weserburg zeigt zum 80. Geburtstag der Künstlerin eine Auswahl der Resultate

„Ich hätte ewig so weitermachen können, ohne die Möglichkeiten der Schreibmaschine auszuschöpfen“

Ruth Wolf-Rehfeldt

VON RADEK KROLCZYK

Unter einer dicken Glasglocke thront auf einem Sockel eine Schreibmaschine der Marke Erika, ein Fabrikat der Dresdener Volkseigenen Betriebe, ein Standardprodukt der untergegangenen Deutschen Demokratischen Republik. Es ist rätselhaft, warum das „komfortable“, 10 Kilo schwere Reisemodell unter Glas gezeigt wird. Wer sollte den stählernen Koloss stehlen oder beschädigen wollen? Und vor allem: wie? Eine Glashaube muss nicht zwingend dem Schutz eines ausgestellten Objekts dienen, sie kann ihm auch einen Heiligenschein verleihen. Das schwere Schreibgerät hat Geschichte.

Auf der Erika entwickelte Ruth Wolf-Rehfeldt ihre „Typewritings“, erstellte grafische Schreibmaschinenblätter, schuf Buchstabenbilder und Gedichte in Bildform. Die Weserburg widmet der Künstlerin zum 80. Geburtstag nun eine große Ausstellung. Die Arbeiten stammen sämtlich aus der Sammlung des Zentrums für Künstlerpublikationen. Wolf-Rehfeldt entdeckte Anfang der 70er-Jahre die Schreibmaschine als Medium. Sie begann, aus Satz- und Sonderzeichen kleine Figuren zu konstruieren. Schnell entdeckte sie die Möglichkeiten des mechanischen Schreibgerätes, das sie ähnlich einem Pinsel oder Bleistift verwendete, indem sie die Schriftzeichen zu grafischen Kompositionen zusammenstellte. Das Zeichenrepertoire empfand sie keinesfalls als Einschränkung: „Ich hätte ewig so weitermachen können, ohne die Möglichkeiten der Schreibmaschine auszuschöpfen“, hat sie einmal gesagt.

Mitte der 70er-Jahre hatte ihr Mann, der Künstler Robert Rehfeldt, im westlichen Ausland eine seiner Arbeiten gegen eine IBM-Kugelkopf-Schreibmaschine eingetauscht, die ihr ermöglichte, eine ganze Reihe neuer Zeichen zu verwenden, so etwa griechische Buchstaben.

Das Verhältnis zwischen Sprachinhalt und Bild variiert. Es gibt Werkgruppen, in denen sie die Bedeutung von Wörtern bildlich umsetzt, so etwa das Wort „Kreuzung“, überkreuz auf den Bogen tippt oder einen Ring mit Stein aus den Worten „Ring“ und „Stein“ konstruiert. Hier stellt sich durchaus die Frage nach einer Abgrenzung zur Grafik.

Weitaus interessanter sind Wolf-Rehfeldts abstrakte Arbeiten. Die Zeichenfolgen ergeben manchmal Strukturen, die an Strickmuster erinnern. „Die doppelte Bedeutung von Text und Textur wird hier sichtbar“, merkt Co-Kuratorin Bettina Brach an.

An anderer Stelle konstruiert Wolf-Rehfeldt aus ihrem Zeichensatz komplizierte architektonische Gebilde. Da die Buchstaben den Raum unterschiedlich ausfüllen, lassen sich optische Effekte wie Perspektiven, Licht- und Schattenwirkungen erzeugen.

Als Wolf-Rehfeldt in den 70er-Jahren in der DDR damit begann, den bildnerischen Charakter von Schrift zu erforschen, hatte das im Westen bereits Tradition: In der Schweiz und in Österreich gab es seit den 50er-Jahren die Gruppe der konkreten Poeten, etwa Eugen Gomringer und Gerhard Rühm. Von diesen Entwicklungen war Wolf-Rehfeldt zunächst abgeschnitten. „In den 50er-Jahren war es in der DDR nicht möglich, Kunst jenseits des sozialistischen Realismus zu machen. Das ändert sich erst in den 70er-Jahren mit Erich Honeckers neuer Kulturpolitik“, erläutert Co-Kuratorin Anne Thurmann-Jajes. Zu dieser Zeit beginnt Wolf-Rehfeldts Teilnahme an Mailart-Netzwerken, sie druckt ihre Typewritings auf Postkarten und verschickt sie an Künstlerkollegen. Ihr Werk wird so auch im Ausland, in Lateinamerika und den USA bekannt. Gleichzeitig lernt sie so auch ähnliche Arbeiten ausländischer Kollegen kennen.

Ihr Werk war in der DDR wenig bekannt, der Künstlerin begegnete man mit Desinteresse. Als Mitglied im Verband der Bildenden Künstler der DDR hatte sie allerdings die Möglichkeit, ihre „Typewritings“ ohne Genehmigung zu vervielfältigen – in einer Auflage von bis zu 99 Stück. Auf diese Weise sind zahlreiche Siebdrucke, Lithografien, Plakate aber auch kleinere Formate in Postkartengröße entstanden. Auch sie sind in der Weserburg zu sehen.

■ bis zum 2. September, Weserburg