: Der leere Himmel
Gott ist immer heikel. Besonders, wenn man ihn leugnet. Das tut der Stuttgarter Publizist Rolf-Peter Henkel – ausgerechnet im Herder-Verlag. Dort ist man sonst eher dem Papst, seinem Knappen Walter Kasper und Anselm Grün zugeneigt. Was ist passiert in Freiburg?
Von Josef-Otto Freudenreich
Es begab sich im Mai 2011. Der Herder-Verlag präsentierte seine Kretschmann-Biografie in Stuttgart. Manuel Herder, der Chef, war eigens angereist, um dem Ministerpräsidenten seine Aufwartung zu machen, was ihm nicht schwergefallen sein dürfte. Der grüne Katholik passt ins Profil. Das Buch geschrieben hatten die beiden Journalisten Johanna Waidhofer und Rolf-Peter Henkel, ohne Kretschmann und Gott zu nahe zu treten. Das Sujet hätte das nicht vertragen.
Aber die Sache mit Gott hat Henkel nie ruhen lassen. Vor 15 Jahren hatte er bereits im Radio einen halbstündigen Vortrag über den „leeren Himmel“ gehalten und „mächtig Lob bekommen“. Für seine These, dass Gott eine Erfindung des Menschen sei, die Weihnachtsgeschichte „Hollywood“, eine Projektionsfläche für alle, die guten Glaubens sind. Das hat er in jenem Mai 2011 auch dem Herder-Eigner erzählt, der darob nicht drei Kreuze geschlagen, sondern abgewogen hat, ob das druckbar wäre. Ein Gottesleugner neben Benedikt XVI. („Kreuzweg am Kolosseum“), Kasper („Wer glaubt, zittert nicht“), Grün („Jeder Mensch hat einen Engel“) – das mochte wohlbedacht sein.
Die Lösung hieß Norbert Blüm. Der gläubige Katholik („Marx ist tot und Jesus lebt“), Doktor der Philosophie und früherer CDU-Arbeitsminister, ward ausgeguckt, dem Atheisten Henkel die Teufelsbeine lang zu ziehen, indem er ihm geharnischte Briefe schrieb. Auf das, was der Publizist zuvor verfasst hatte. Also Attacke auf den gebürtigen Dortmunder, einen kritischen Geist, der 25 Jahre für die „Frankfurter Rundschau“ gearbeitet hat, als die noch linksliberal war. Einer, der nie kapieren wollte, warum die Gläubigen stundenlang darüber diskutieren konnten, ob der Papst „einen an der Waffel hat“, aber ihren Glauben nie begründen konnten. Alles Psychologie oder was? Blüm gegen Henkel: daraus ist das Buch „Streit über Gott“ entstanden, das allen empfohlen sei, die Munition für eine Haltung im Glaubenskampf suchen. Im September ist es, 220 Seiten stark, im Buchhandel.
Blüm setzt auf Mutter Teresa und Franz von Assisi
Es rappelt in der Kiste, wenn die beiden über die „Theodizee“ streiten, also über die Frage, ob es einen Gott geben kann, wo doch so viel Leid und Elend auf der Welt war und ist. Henkel hält Blüm von den Hexenverbrennungen im Mittelalter über Auschwitz bis zum heutigen „menschenfeindlichen Wirtschaftssystem“ alles vor, dem ER, so existent, tatenlos zusehe. Der Herz-Jesu-Sozialist („Mit dieser Frage quäle ich mich wie viele Menschen“) kontert mit kirchlichem „Entlastungspersonal“, in Gestalt von Mutter Teresa, Franz von Assisi und Thomas von Aquin. Was wäre aus der Welt geworden ohne sein „Häuflein Heiliger“, fragt Blüm.
Und ein bisschen zählt er sich wohl auch dazu, wenn er von seinem Besuch bei dem Schlächter Pinochet berichtet, dem er gehörig die Leviten gelesen habe. „Herr Präsident, Sie lassen foltern“, habe er gleich zu Beginn des Gesprächs als deutscher Arbeitsminister gesagt, ohne Rücksicht auf konventionelle Freundlichkeiten. Daraufhin habe der chilenische Diktator zu schreien angefangen, um am Ende triumphierend auf ein großes Kreuz zu deuten: „Vor dem bete ich jeden Tag.“ Und was antwortet der Bonner Christ: „Herr Präsident, das wird Ihnen auch nichts nützen. Der, vor dem Sie beten, kennt jeden, den Sie haben umbringen lassen, und er wird Sie nach jedem fragen: Was hast du dem Geringsten meiner Brüder und Schwestern angetan? Keine Präsidentenschärpe wird Ihnen die Antwort ersparen.“ Pinochet habe nun nichts mehr gesagt, nur für einen Moment erkennen lassen, dass er traurig war und ein Funken Angst aus seinen Augen blitzte.
Ein Gottesbeweis ist das freilich auch nicht. Eher der Wunsch der Vater des Gedankens. Aber das wäre auch zu viel verlangt. Gerade von Norbert Blüm, der sich bisweilen, wie er bekennt, im „dunklen Stollen“ des Glaubens befindet. Auch die von ihm hilfsweise herangezogene Gilde der Großphilosophen (Kant, Bloch, Küng, Rahner, Ratzinger) erleuchtet Henkel nicht. „Namedropping“, Bücherregale, die einen erschlagen, lästert der eine, er werde jetzt auf dem Bolzplatz „holzen“, droht der andere. Was Wunder, dass daraus keine wunderbare Freundschaft geworden ist und das Buchprojekt bisweilen vor dem Scheitern stand.
Henkel will Erfahrung und Vernunft walten sehen
Es ist halt ein zutiefst emotionales Thema, Gott und die Religion. Der Atheist Henkel wollte wenigstens Erfahrung und Vernunft auf diesem Feld walten sehen, nachdem finale Beweise „so oder so nicht zu haben sind“. Der Christ Blüm predigt den „Gott der Liebe“ und bleibt mit der Erkenntnis zurück, dass für beide kein Platz im „theologischen Himmel“ sei, bietet aber, des Friedens willen, eine Teilkonversion zum Atheismus an. Er glaube nicht an den „Gott Mammon“, versichert der verschärfte Kapitalismuskritiker, was bei der Frage, ob es einen Gott gibt, auch nicht wirklich weiterhilft.
Henkel findet das gar nicht lustig. Das Thema Religion, sagt er, werde in den Medien rauf- und runter gespielt. Weil alle auf der Sinnsuche seien. Der gläubige Moderator Johannes Baptist Kerner, seine lesbische Kollegin Anne Will, die nicht mehr in die Kirche geht, die „Zeit“ mit einer Religionsbeilage, die vom Glaubens-Mix bis zur frei schwebenden Spiritualität alles bietet, und das Volk, das immer noch zu zwei Dritteln an Gott glaubt. Aber was ist, fragt Henkel, wenn es diesen Gott gar nicht gibt, um sich selbst zu antworten: „Ein Nein würde all das andere im wahrsten Sinne bodenlos machen.“ Wäre der westfälische Dickschädel etwas versöhnlicher, könnte er sich vielleicht mit seinem Kontrahenten Blüm auf dessen Begriff der „Verwirtschaftung“ einigen. „Yoga mit Jesus“ soll ein Renner sein.
Herder hat schon bei Maischberger gebucht
Man darf also gespannt sein, wie sich die beiden Oldies – Blüm ist Jahrgang 1935, Henkel 1942 – in der vermaledeiten Medienlandschaft schlagen werden. Der Herder-Verlag jedenfalls hat vorgesorgt. Ein Termin bei Maischberger ist gebucht, die Frankfurter Buchmesse sowieso und die Katholische Akademie in Freiburg auch. Die badischen Glaubensbrüder gehen ganz entspannt in die Kapitalisierung ihres publizistischen Wagemuts. „So ändern sich die Zeiten“, sagt eine Verlagssprecherin, „wir sind weltoffen.“ Und der zornige Henkel, dem eine „Zeitbombe“ Blüm schwant, kann sie mit einem Satz entschärfen, den er, in diesem Fall, vorbehaltlos unterschreibt: Die Rente ist sische.
Norbert Blüm: gelernter Werkzeugmacher, danach Studium der Philosophie, Theologie, Germanistik und Geschichte in Bonn. Hauptgeschäftsführer der CDU-Sozialausschüsse (1968–1975), Mitglied des Bundestags (1972–2002) und des Präsidiums der CDU (1981–1994), Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung (1982–1998). Blüm ist Mitglied von Amnesty International und Träger des Menschenrechtspreises.
Rolf-Peter Henkel: Studium der Philosophie und Germanistik in Bonn, danach Redakteur bei der „Bonner Rundschau“, beim „Schwarzwälder Boten“ und den „Stuttgarter Nachrichten“, wo er Vorsitzender des Redaktionsausschusses war und auf Druck der Chefreaktion ausgeschieden ist. Von 1979 bis 2004 war Henkel Stuttgarter Korrespondent der „Frankfurter Rundschau“.