: Der schwarz-gelbe Hügel
Wagner in Bayreuth, das ist vor allem ein idealer Laufsteg für Politiker, die sich in der Hochkultur sonnen wollen
Armer Wagner! Man könnte derzeit glatt Mitleid empfinden mit dem Komponisten (1813–1883), dessen Opern jedes Jahr 58.000 Musikliebhaber zu den Bayreuther Festspielen locken. Normalsterbliche warten etwa acht Jahre auf Karten für den „Grünen Hügel“, Politiker indes werden von der Stadt Bayreuth eingeladen und bekennen sich durch ihren Besuch öffentlichkeitswirksam zur Hochkultur. Das hat Tradition: Schon Hitler war gern da.
„Es ist nichts Verrücktes daran, dort von sechzehn Uhr bis tief in die Nacht seine Zeit zu verbringen, sondern es fügt sich alles wie von selbst“, erklärt Angela Merkel ihre Faszination. „Wagner zwingt einen dazu, sich der Musik zu widmen. Das funktioniert.“ Nicht nur das, auch für Merkels Medienpräsenz zahlt sich ihr Sitzfleisch aus. „In Rosa auf dem roten Teppich“, betitelte die Süddeutsche Zeitung ihr Aufmacherfoto. „Die CDU-Chefin trug ein schulterfreies zweiteiliges Abendkleid aus apricotfarbener Seide mit passendem Handtäschchen“, schrieb Bild.
Seit jeher bringt die bessere Gesellschaft am Premierenabend den Glamour nach Bayreuth – und in die deutschen Wohnzimmer. In diesem Jahr hingegen beherrschten eindeutig Politiker, die ja im Allgemeinen wenig Glamour verströmen, die Szenerie. „Polit-Gipfel“, textete Bild und druckte fast ausschließlich Fotos von Unions- und FDP-Politikern. Bayreuth (oder war es Bild?) schien den Regierungswechsel vorweggenommen zu haben.
FDP-Chef Guido Westerwelle, dessen Partei am Vormittag ihr Wahlprogramm vorstellte und darin ein Bundeskulturministerium fordert, empfahl sich durch seinen Besuch für diesen Posten. Leider war er gestern nicht erreichbar. Man hätte ihn gerne gefragt, warum er vor drei Jahren noch im legeren Freizeitdress und mit „Guidomobil“ Wahlkampf gemacht hat und jetzt in festlicher Abendgarderobe. Im Smoking zeigte er sich sowohl dem „heute-journal“ (aus der Pause) als auch den „Tagesthemen“ (vom Premierenempfang) zugeschaltet. Moderator Ulrich Wickert war denn auch überrascht von Westerwelles plötzlichem Interesse an der Hochkultur: „Wir wussten zuerst gar nicht, dass er in Bayreuth ist“, sagte Wickert der taz: „Wenn eine Partei ihr Wahlprogramm vorlegt, fragen wir nach. Das haben wir bei allen so gemacht.“ Über eine eventuell politische Botschaft hinter Westerwelles Auftritt will Wickert nicht spekulieren und bleibt pragmatisch: „Da er dort im Smoking rumlief, konnte er unsere Fragen auch nur im Smoking beantworten.“ DAVID DENK