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Archiv-Artikel

Expressionismus im Strandkorb

AUSSTELLUNG Das Altonaer Museum in Hamburg wagt in seiner Ausstellung über Norddeutschlands Küsten einen bizarren Mix aus Heimatkunde und „Hochkultur“. Maler wie Max Pechstein müssen darin mit Sodenspaten um Aufmerksamkeit konkurrieren. Ein Konzept, das als misslungen-banal oder genreübergreifend-genial gesehen werden kann

VON PETRA SCHELLEN

Da haben sie also ein paar Sodenspaten in die Ausstellungsräume gestellt. Einen Krabbenkochtopf außerdem, und im Hintergrund warten ausgestopfte Seeschwalben. Dahinter hängen verschiedenerlei Gemälde. Sie entstanden im 19. und 20. Jahrhundert und zeigen Facetten von Nord- und Ostseeküste, denen das Altonaer Museum seine aktuelle Ausstellung widmet.

Kultur- und Naturhistorie will die Ausstellung verbinden, zwei Medienstationen zu Seebegräbnissen und Helgoland im Zweiten Weltkrieg gehen auch noch mit. Es ist also genau jener interdisziplinäre Ansatz, den man, des ewig Gleichen müde, immer haben wollte. Exquisit und billig ist die Schau auch: billig, weil aus eigenen Beständen bestückt und exquisit, weil manch expressionistisches Werk lange nicht zu sehen war.

Man könnte also in jeder Hinsicht zufrieden sein mit dieser Mixtur, die alle Schubladen missachtet – und ist es doch nicht: Zu hausbacken, zu folkloristisch wirken Deichbau- und Fischergeräte; man ist schon drauf und dran, die Nase zu rümpfen und zu sagen, dies Handwerkszeug passe nicht zur Kunst. Und schon nörgelt man wieder, die Ausstellungsmacher sollten sich doch entscheiden zwischen Heimat- und Hochkultur, damit man es selbst nicht tun und womöglich seine sorgsam gepflegten Grenzen verletzen muss. Andererseits: Ist diese Kombination aus Fischernetz und Leinwand nicht das Revival jenes Ethnografie-Enthusiasmus, den die Maler der Künstlerkolonien etwa in Hiddensee und Ahrenshoop, die Expressionisten gar in Afrika und der Südsee pflegten? Die Fakten sprechen allerdings dagegen: Denn jene Maler-Kolonisten schufen Fischer und Dörfler nach ihrem Bilde. Sie stellten nur dar, was in ihr ästhetisches und ideelles Konzept passte und projizierten zudem oft – im Auftrag der Käufer – bürgerliche Familienverhältnisse in die Gemälde.

Gern zelebrierte man auch die vorgeblich moralische Überlegenheit des einfachen Lebensstils – aber beileibe nur als fernes Idyll. Harte Arbeit, gar der unter Fischern häufige Tod: Sie kamen nur gelegentlich oder indirekt vor; markantes Altonaer Beispiel sind Max Pechsteins „Kurengräber“. Und die Abteilung „Sturmflut, Schiffbruch und maritimer Tod“ mit tosenden Wogen und dramatisch am Riff zerschellenden Schiffen bedient einen recht schlichten Voyeurismus.

Dokumentarisch oder auch nur authentisch abbildend war also nicht, was die Maler darstellten; das vermeintliche Idyll diente den Künstler-Kolonisten vielmehr als Motivspeicher für ihre eigenen Zwecke. Mit dem authentischen Nacherleben der den Maler inspirierenden Sodenspaten wird es also nichts im Altonaer Museum: Die Künstler können also so viele Menschen auf dem Deich, so viele Fischer malen, wie sie wollen – wirklich nahe kommen sie ihnen nicht; alles bleibt Destillat, subjektiver Blick auf Gesehenes – aus sicherem Abstand, wohlgemerkt.

Die Qualität der Bilder mindert dies nicht – aber so soziologisch, wie sie tut, ist die Ausstellung dann eben doch nicht: Kaum finden sich in der Schau Porträts jener kinderreichen Fischerwitwen, deren Ernährer verschollen – eins der wichtigsten Probleme jener Gesellschaften im 19. Jahrhundert. Nein, der Härte der Arbeit und der Unbarmherzigkeit des Lebens an der Küste gelten diese Gemälde nicht, und vielleicht hatten die Sodenspaten das wettmachen sollen. Den sozialen, um nicht zu sagen sozialistischen Touch hatten sie der Schau vermutlich bringen sollen, aber dafür sind diese Exponate zu heimatkundlich-museal aufbereitet; sie befriedigen allenfalls das Interesse konservativer Historiker. Auch die ausgestopften Seeschwalben in der „Küstengeologie“-Abteilung verschaffen wenig Erkenntniswert – dabei funktioniert dieses Segment als Einleitung der Schau tadellos. Nur dass sie sich auch hier sofort verheddert zwischen dokumentarisch gemeinten, wenn auch mit Romantizismen angereicherten Gemälden des 19. Jahrhunderts und Expressionistischem, das für die Genese der Küstenlinie belanglos ist. Und just wenn man beginnt, das Gewirr für sich zu ordnen – ist die Abteilung zu Ende.

Gleich nebenan beginnt das „Strandleben“, zur Erhöhung der Plastizität mit echtem Strandkorb ausgestattet und bestückt mit Strandszenen-Bildern, die bis zu Karikatureskem etwa von Hans Leip reichen. Aber nicht nur, dass dieser Ausbund an Künstlichkeit nach der Geologie wie ein Faustschlag wirkt: Die Kurbäder-Postkarten passen weder chronologisch noch soziologisch ins System der Schau. Eine rein dem Bäderleben gewidmete Schau wäre wohl angemessen gewesen. Nun turnen Strandkorb-Nymphen zwischen Deichbauern und deren Werkzeug! Sicher, dieses Dicht-an-Dicht lässt sich auch als Kontrast lesen, und die Entstehung der Seebäder Ende des 18. Jahrhunderts war eine wichtige Etappe in der Genese der Küstenbewohner-Mentalität, die Befreiung von harter Arbeit zugunsten touristischer Dienstleistung bedeutete. Aber dennoch: wieder nur ein Appetizer, nichts Durchgehaltenes.

Andererseits: Wir wollten ja in Ausstellungen nicht mehr nach roten Fäden fragen, sondern uns das osmotische Ineinanderfließen verschiedener Themenstränge vorurteilslos gefallen lassen. So hat man dann ein buntes Patchwork-Spektrum küstennahen Lebens, ergänzt um Abbildungen maritimer Interieurs, deren Möbel und Tapeten zumindest authentisch sein dürften, wenn es die adrett stickende betagte Fischersfrau in der Wohnstube schon nicht ist. Denn solche Details entsprangen selbstverständlich der Phantasie der Maler und waren abermals den Ideen der Auftraggeber geschuldet: Falls der Fischer und seine Frau überhaupt das Rentenalter erreichten, dann bestimmt nicht in solch guter Gesundheit wie bei Max Fabian – und sicher nicht mit so intakten Gelenken, dass sich Filigranes damit sticken ließe.

Was also von dieser Ausstellung bleibt ist jene eigentümliche Mischung aus Heimatkunde und „Hochkultur“. Fast schon zynisch exakt spielt die Ausstellung dabei nach, was die Maler des 19. Jahrhunderts taten: Sie stellt Fischergeräte in einen Raum der „Hochkultur“, integriert sie scheinbar ins optische Geschehen, belässt sie aber in Vitrinen. Wie der Maler von Ferne auf die Dorfbewohner schaute, so blickt der Ausstellungsbesucher mit Abstand auf deren Arbeitsgeräte. Sie bleiben Exotika. Diesen Effekt haben die Kuratoren vermutlich nicht gewollt – oder vielleicht doch? Anders gesagt: Entweder ist diese Ausstellung naiv und total banal – oder Super-Avantgarde. Eine Provokation ist sie in jedem Fall.

„Land am Meer – Die Küsten von Nord- und Ostsee“ läuft bis zum 9. 5. 2010 in Hamburg im Altonaer Museum