PETER UNFRIED NEUE ÖKOS
: Wo es Anwälte für Marihuana-Probleme gibt

Hippies, nichts als Hippies in Arcata. Die coole Gemeinde in Nordkalifornien ist nicht nur ein bisschen bio und dope, sondern füllt das Wort „progressiv“ mit neuer Bedeutung. Das wollen Penelope und Adorno jetzt auch

Rick vom Dutch Brothers Coffee Drive-Thru in Crescent City sagte nur fünf Worte, als er hörte, dass wir auf dem Weg nach Arcata waren. „Die Stadt der Hippies. Cool“. Aus heutiger Sicht kann ich nur sagen: Bei Gott, das ist es.

Hippies? Penelope und Adorno waren auch sofort elektrisiert. Zumindest ließen sie tatsächlich ihre Gameboys fallen und schauten aus den Fenstern, als wir mit dem Prius in Arcata einfuhren. Das würden diese technikbesessenen Kinder nicht mal für den Grand Canyon tun.

Da, die erste Fußgängerin. „Ist das ein Hippie?“, fragten sie aufgekratzt. „Klar“, sagte ich.

„Und das Pärchen da?“ – „Hippies.“

Sie fiepten: „Aber der in dem Anzug nicht?“ – „Doch. Eindeutig Hippie.“

Es mussten Hippies sein, das sieht man schon daran, dass sie zu Fuß gehen. Das macht ein normaler Kalifornier nicht.

Arcata liegt an der kalifornischen Pazifikküste, 270 Meilen nördlich von San Francisco, ist atomwaffenfreie Zone, hat 17.000 Einwohner, eine progressive Öko-Uni namens Humboldt State, eine außergewöhnlich schöne Plaza, keine Hochhäuser und funktioniert tatsächlich zu Fuß. Perfekt? Na ja, nicht ganz: In den Zeitungen inserieren Anwälte „für Marihuana-Probleme“. Die gibt es also. Obwohl die Arcata Police eigentlich die Nase zudrückt. Der Arcata-Lebensstil hat sich entwickelt aus der Protestbewegung von 1967/68. Dropouts und Leute, für die es Südkalifornien und irgendwann auch San Francisco nicht mehr brachte, zogen auf der Suche nach einem besseren Leben Richtung Norden.

Da bauen sie jetzt Solarpanels oder pflanzen Biogemüse an und verkaufen es samstags beim Farmer’s Market auf der Plaza (Siehe YouTube: „The Arcata Farmers Market“ und „hippies gone wild“.) Aber Arcata ist nicht nur ein bisschen bio und dope. Sicher gibt es Hippies, die „White Rabbit“ summend im Gestern leben. Und Leute, die in staubigen Secondhand-Buchläden über Klassenkampf sinnieren. Es gibt aber auch Hipster von heute, die das Wort „progressiv“ mit neuer Bedeutung füllen. „Progressiv“ denken und leben im 21. Jahrhundert hat eine eine zentrale ökologische Dimension. Das hat Arcata verstanden. Und lebt es.

Was anderswo Alternative ist, ist in Arcata Mainstream. Man sieht es auch daran, dass ein entscheidender Ort, der Haupteinkaufsmarkt, nicht ein klassischer Supermarkt ist, sondern „Wildberry’s Marketplace“, wo es von lokalem Bio bis zur New York Times alles gibt, was Menschen, ihre Körper und ihren Geist glücklich machen kann.

Warum Arcata? Eine Vermutung: Man tut sich hier einfacher, das individuelle und kollektive Lebensglücksmodell zu überarbeiten und das Progressive neu zu interpretieren, weil der Ansatz globaler Gerechtigkeit und das Neohedonistische der neuen Ökobewegung hier schlüssig mit dem Konservativen koaliert, dem traditionellen nordkalifornischen Bewahrungsgedanken der Natur. Die Leute haben ihre eigene Wirklichkeit verändert. So was geht.

Kann sein, dass ich einen Romantikanfall habe. Kann sein, dass einem in Arcata der kalifornische Himmel auf den Kopf fällt. Kann aber auch nicht sein. „Kinder, mal herhören“, sagte ich, „wir ziehen nach Arcata.“ Tumulte. Entsetzen.

„Menno, sagen wir, für sechs Monate.“ Schreikrämpfe.

„Drei Monate werden doch wohl drin sein?“ Das ginge auf keinen Fall. Wegen Penelopes Freundinnen. Wegen Fritz. Und Adornos anderer Kumpels, deren Namen seltsamerweise alle mit „L“ beginnen.

Ein starkes Argument.

Ich sagte: „Okay. Entweder wir gehen zurück. Oder wir holen uns Arcata hierher.“ Sie sahen sich an. “Ja ja“, säuselten sie in seltener Einigkeit. „Wir holen uns Arcata hierher.“

Ich habe ihr Wort.

Der Autor ist taz-Chefreporter Foto: Anja Weber