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Archiv-Artikel

Wählerinnen im Stich gelassen

betr.: „Die rot-grünen Ministerinnen haben die Politik weiblicher gemacht. Sieben Frauen und der Nichtfeminist“, Kommentar von Cosima Schmitt, taz vom 26. 7. 05

Ich teile die Bewertung der Errungenschaften der rot-grünen Regierung in Sachen Geschlechtergerechtigkeit nicht. Im Gegenteil: Ich glaube, dass die Wählerinnen, denen der Wechsel 1998 hauptsächlich zu verdanken war, im Stich gelassen wurden.

Der „Dauerfokus Frau“ wird auch unter Rot-Grün nur dann ins Blickfeld genommen, wenn es bequem ist. Oder etwas polemischer: Da wird die Rasenschnitthöhe vor den Ministerien auf ihre geschlechtsspezifischen Auswirkungen untersucht (Stichwort Pilotprojekte Gender Mainstreaming), während die eigentlichen politischen Richtungsentscheidungen (z. B. die Hartz-Gesetze) ohne diesen Fokus beschlossen wurden.

Alle aus feministischer Sicht wünschenswerten (und teilweise versprochenen) Änderungen – Abschaffung des Ehegattensplittings, Gleichstellungsgesetz in der Privatwirtschaft, Antidiskriminierungsgesetz … – waren nicht so wichtig, dass sie ernsthaft verfolgt worden wären. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, die als Leitbild gelobt werden, steht auch auf dem Fähnchen der CDU/CSU. Zugegeben: Bei der Union ist sie eher noch das Feigenblatt, um zu verdecken, dass eigentlich alles bleiben soll, wie es ist.

Feminismus hinter Familienpolitik tarnen zu wollen (wie es Rot-Grün unterstellt wird) ist allerdings auch nicht unbedingt zielführend. Die Ministerinnen müssen jetzt im Wahlkampf natürlich so tun, als würde im Oktober alles besser werden. Die Richtung der letzten sieben Jahre war doch aber ziemlich klar: freiwillige Vereinbarungen mit der Wirtschaft für mehr Gleichberechtigung im Beruf statt tatsächlichen Verpflichtungen. Das ist im neoliberalen Zeitgeist, bloß den Markt nicht zu etwas zwingen wollen, denn er ist ein zartes Pflänzchen, natürlich konsequent. Für eine bessere Welt für Frauen und Männer wird es aber nicht viel bewirken. Das belegen auch Erfahrungen aus Schweden, was immer noch als Vorbild in Sachen Gleichstellung dient: Ohne tatsächliche Verpflichtungen und Sanktionen wird sich nichts ändern. Aus meiner Perspektive ist Rot-Grün deshalb nicht mehr wählbar!

Jetzt, wo die linken Kräfte in Deutschland zum letzten Gefecht rüsten und uns nichts schlimmer erscheint als eine schwarz-gelbe Republik, darf das natürlich nicht thematisiert werden. So verkommt die „Frauenfrage“ mal wieder zum Nebenwiderspruch.

MARIA WERSIG, wissenschaftliche Mitarbeiterin

am Otto-Suhr-Institut für Politik der FU Berlin