„Eingriff in Grundrecht nicht zu rechtfertigen“

Mit der Speicherung von Internetdaten steigen nur die Kosten. Mehr Sicherheit schafft das nicht, sagt Branchenexperte Oliver Süme

taz: Herr Süme, seit 2003 kämpft Ihr Verband gegen Pläne, die Speicherung von Internetdaten gesetzlich vorzuschreiben – warum?

Oliver Süme: Es gibt vor allem zwei Gründe. Wir sehen erhebliche ökonomische Belastungen für die Unternehmen. Außerdem glauben wir nicht, dass dadurch ein Mehr an Schutz und Sicherheit gegen den Terrorismus zu bekommen ist. Der Eingriff in das verfassungsrechtlich garantierte Grundrecht auf unbeobachtete Kommunikation ist unseres Erachtens deshalb nicht zu rechtfertigen.

Nach den jüngsten Terroranschlägen kippt die Balance zwischen individuellen Freiheitsrechten und dem Schutz der Allgemeinheit. Müsste sich nicht angesichts der neuen Lage auch Ihre Haltung ändern?

Die Industrie trägt ja ihren Teil zu den Strafverfolgungsinteressen bei. Die Internet- und Telekommunikationsunternehmen müssen ja bereits im Rahmen der Telefonüberwachung in entsprechende Hardware investieren und mit den Strafverfolgungsbehörden kooperieren. Das tun wir – und bisher zum größten Teil auf eigene Kosten. Jeder wird beitragen, was er kann, um Attacken wie in London zu vermeiden. Aber man muss gut überlegen, was sinnvoll ist und wer den Aufwand finanziert. Darüber wurde bisher viel zu wenig gesprochen.

Teilen Sie die Einschätzung, dass durch die jüngsten Ereignisse der Handlungsdruck gestiegen ist?

Das ist genau unsere Befürchtung. Natürlich werden die Rufe nach den Anschlägen in London lauter, aber nicht unbedingt qualifizierter. Nötig wäre eine sachliche Diskussion über Aufwand, politische Kosten, finanzielle Kosten und Nutzen bestimmter Maßnahmen. Die fällt nun unter dem Druck der Ereignisse einfach aus.

Nun hat aber in London gerade die Auswertung der Videoüberwachung zu raschen Ermittlungserfolgen geführt.

Es ist ein großer Unterschied von der Technik und damit vom Datenvolumen her, ob ich im öffentlichen Raum Videokameras aufstelle oder mir die Verbindungsdaten eines Mobiltelefons geben lasse oder ob ich im Internet in dem Umfang Daten einsammle, wie es jetzt diskutiert wird. Das ist ein vielfach vergrößertes Datenaufkommen, mit dem man deutlich weniger anfangen kann als mit Videobildern oder Telefonnummern.

Halten Sie die längere Speicherung von Telefonnummern denn für sinnvoll? Die dürfen bislang ja nur drei Monate aufgehoben werden.

Im letzten Jahr gab es über 30.000 Anfragen der Ermittlungsbehörden – nur 78 bezogen sich auf E-Mails und 92 auf Standleitungen ins Internet. Der Rest bezog sich auf Telefonnummern. Ich schließe daraus, dass die Ermittler mit diesen Daten viel mehr anfangen können.

Immerhin wird nun davon gesprochen, dass die Provider teilweise entschädigt werden sollen. Stimmt Sie das positiver?

Der von der Kommission formulierte Richtlinientext spricht nur davon, einen Beitrag zum Aufwand zu leisten. Der Industrie wäre nicht gedient, wenn pro Anfrage eine bestimmte Summe erstattet würde und die Millionen von Daten, für die sich die Strafverfolger nicht interessieren, kostenlos aufbewahrt werden müssten. Das steht nicht ansatzweise im Verhältnis zu den Investitionen, die nötig wären, um die Speicherkapazität entsprechend zu erhöhen.

INTERVIEW: DANIELA WEINGÄRTNER