Heterosexualität soll Leitkultur bleiben

Ein Handbuch für LehrerInnen zum Umgang mit Homosexualität steht im Visier der neuen Landesregierung. Sie will die Broschüre von Rot-Grün nicht „unreflektiert“ verwenden, heißt es aus dem NRW-Schulministerium

DÜSSELDORF taz ■ Die neue Regierung fürchtet, dass die Schule zur Brutstätte der Homosexualität wird. Sie plant deshalb ein EU-Handbuch zum Thema zu „überprüfen“. Dieses wurde im Auftrag der EU vom rot-grünen NRW-Sozialministerium federführend gestaltet und seit 2004 unter anderem an LehrerInnen verteilt. Grüne und VertreterInnen der Lesben und Schwulen fordern die Schulministerin Barbara Sommer (CDU) jetzt auf, zu den „unqualifizierten“ Äußerungen ihres Sprechers Oliver Mohr Stellung zu nehmen.

Mohr hatte der BILD am Mittwoch gesagt: „Wir dürfen unseren Kindern nicht das Gefühl geben, dass schwul oder lesbisch sein zur Pflicht wird.“ Dem schwulen Online-Magazin „Queer“, kündigte Mohr an, dass die Broschüre „Mit Vielfalt umgehen“ unter der neuen Regierung nicht „unreflektiert“ verwendet würde: Die „Erblast“ der Vorgängerregierung solle nicht als „Werbung für bestimmte Lebensformen“ benutzt werden.“

Auf dem Prüfstein der CDU stehen jetzt also Formulierungen wie: „Achten Sie darauf, dass Sie Lesbisch- und Schwulsein nicht nur als Problem, sondern als eine Lebensform neben vielen anderen gleichbedeutend darstellen“, oder etwa „nehmen Sie Texte, die sich mit Lesben und Schwulen auseinander setzen, in die Listen von Pflicht- und empfohlener Lektüre auf.“

Der Lesben- und Schwulenverband NRW hat die Schulministerin in einem Brief aufgefordert, den Leitfaden für LehrerInnen nicht aus dem Verkehr zu ziehen. Die Schule übernehme eine wichtige Rolle bei der Aufklärung über Homosexualität: „Nur wenn SchülerInnen und Schüler frühzeitig lernen, dass es ganz normal ist, schwul oder lesbisch zu sein, kehrt langfristig auch Normalität ein“, sagt Sprecher Arnulf Sensenbrenner. Immer noch gehöre „Du schwule Sau“ zum häufigsten Schimpfwort auf dem Schulhof.

Von der Ministerin erwartet er außerdem, dass sie sich von der inakzeptablen Äußerung ihres Sprechers distanziere, so Sensenbrenner. „Wie es scheint, ist der Sinn des EU-Projekts noch nicht zu diesem Herrn durchgedrungen.“ Auch die Grünen in NRW fordern die Schulministerin auf, die „unqualifizierten Äußerungen“ ihres Sprechers unverzüglich zurückzuweisen. Der Umgang mit der Broschüre zeige, dass unter Sommer „ohne den Anflug fachlicher Fundierung Entscheidungen übers Knie gebrochen werden.“

Zu der Kritik der Grünen will Oliver Mohr keine Stellung nehmen. Nur: „Die Schulministerin kann sich nicht von meinen Äußerungen distanzieren, ich bin schließlich ihr Sprecher“, sagt er der taz. Die Ministerin habe klargestellt: „Das Handbuch wird in der Schule zukünftig keine mehr Rolle spielen.“

Die Erstellung der Broschüre, an der fünf weitere Staaten beteiligt waren, hat das Land 435.000 Euro gekostet. Darum will die Regierung die 2.000 verbleibenden Broschüren nicht wegwerfen, sondern ihre weitere Verwendung prüfen. Das Generationenministerium, das sich jetzt der Sache angenommen hat, will die Publikation erst einmal einbehalten – bis sie ein kostengünstiges Verfahren gefunden hat, um das Material weiterhin an Akteure der Antidiskriminierungsarbeit abzugeben zu können, „ohne dass der Eindruck erweckt wird, die neue Landesregierung identifiziere sich mit jeder Wertung oder Formulierung“, heißt es in einer Pressemitteilung. Im Klartext: Zensur. „Nein, das ist keine Zensur“, beteuert Sprecherin Heike Döll-König. Es würde lediglich überlegt, beim Versenden der Broschüre ein Begleitschreiben beizulegen, das „Hintergründe erläutere“.NATALIE WIESMANN