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Archiv-Artikel

„Wir wollen uns die Angst nehmen“

Die Mitglieder der Finanzkooperation teilen ihr Einkommen – und können sich gelassener dem widmen, was sie wirklich interessiert: politischer Arbeit

Von grä

Bremen taz ■ „Wer kontrolliert denn das Konto?“, fragt man und stößt auf Erstaunen. Die Mitglieder der Finanzkooperative teilen ihr Geld auf einem gemeinsamen Konto – aber die Vorstellung, dass jemand die Ein- und Ausgänge überwachen müsse, ist ihnen herzlich fremd. Vor den monatlichen Treffen, holt eines der fünf Mitglieder die Kontoauszüge ab. Das reicht. „Seitdem wir gemeinsam wirtschaften, ist Geld für mich viel unwichtiger geworden“, sagt Norbert. Wie viel er monatlich zur Verfügung hat, kann er nicht genau sagen. „Es genügt“, sagt er und hat vielleicht das glücklichste Verhältnis, das man zu Geld gewinnen kann.

Vor drei Jahren haben sich die fünf Mitglieder der Finanzkooperative zusammengetan, weil sie eben diese Gelassenheit erreichen wollten: „Wir wollen uns gegenseitig den Rücken freihalten“, sagt Lydia. Indem sie ihr Geld solidarisch teilen, können die Mitglieder angstfrei das tun, was ihnen am wichtigsten ist: politisch arbeiten, vor allem in basisdemokratischen Initiativen. Im Wohnzimmer der Finanzkooperative stehen Hunderte von Büchern. „Gesellschaftstheorie“ steht auf einem der kleinen Aufkleber am Regal, und es wird schnell klar, dass die Mitglieder der Kooperative ihre Bücher tatsächlich gelesen haben. „Wir wollen uns die Ängste vor den existenziellen Nöten im Kapitalismus nehmen“, sagt Norbert. „Und haben einen kollektiven Rahmen geschaffen, um über Arbeit und Zukunft nachzudenken.“

Dabei soll die Kooperative keinesfalls Familienersatz sein. Sondern offen für neue Mitglieder – und gerne auch Modell für weitere Kooperativen. Das gemeinsame Wohnen habe sich zufällig ergeben, sei keineswegs geplant gewesen, betonen Norbert und Lydia. Am Anfang stand mehr die Sehnsucht nach einem anderen Wirtschaften. Über politische Zusammenhänge fand man zueinander – und hat sich dann behutsam auf den gemeinsamen Weg begeben.

„Es ging nicht von heute auf morgen“, sagt Norbert. „Die Lernprozesse waren extrem wichtig, denn dieses Wirtschaften geht von der gewöhnlichen Sozialisation sehr weit weg.“ Also haben die Mitglieder erst einmal Listen über ihre Ausgaben geführt, um sich über die eigenen Bedürfnisse klar zu werden. Sie haben über ihre finanziellen Biographien gesprochen, über wohlhabende und sparsame Elternhäuser. „Wir sind mit den eigenen Ängsten rücksichtsvoll umgegangen“, sagt Lydia.

Zunächst gab es eine gemeinsame Dose, in die jeder Geld hineintun und herausnehmen durfte – maximal 300 Euro – seit drei Jahren haben sie ein gemeinsames Konto. Schulden und Guthaben sind außen vor geblieben. Wer mehr als 100 Euro ausgeben möchte, meldet das an. „Es kann eine Diskussion darüber geben – muss es aber nicht.“ Vor allem gibt es soviel Vertrauen untereinander, dass jeder offen über seine Bedürfnisse spricht. Nur einmal hat die Kooperative einen Wunsch abgeschlagen: Aber die eigentlich mehrere Hundert Euro teure Fahrradnabe konnte dann billiger gekauft werden.

„Wir haben jede Menge Diskussionsbedarf“, sagen Lydia und Norbert. „Aber nicht bei den Ausgaben“. Oft geht es um Arbeitsverhältnisse, etwa um Lohnfortzahlung für eine kranke Kollegin oder Teilzeitmöglichkeiten. Ihre eigenen Stellen reichen vom Outdoor-Laden über die Uni bis zu diversen Jobs. Bislang hat ihnen das gemeinsame Wirtschaften jene Freiheit gegeben, die sie sich davon versprochen haben.

Und wo, fragt man, liegen die Probleme? Kürzlich ist ein Mitglied ausgeschieden, weil ihm die politische Tätigkeit zu sehr nach außen gerichtet war. Er bekommt, so steht es im Ausstiegsvertrag, 1.000 Euro Startgeld. „Wenn plötzlich drei auf einmal ausstiegen, hieße das Schluss mit lustig“, sagt Lydia. Aber das ist nicht abzusehen. grä