: „Jeder wird zum DJ“
Bastardpop ist tot. Der DJ Jan Simon Spielberger über sein Label Exploited, seine Band Tolcha und über die Zukunft seines Berufsstands. Die zunehmende Digitalisierung der Musik wird den DJ schon bald zum Live-Produzenten machen, glaubt er
INTERVIEW CHRISTOPH BRAUN
taz: Bastard-Pop-DJs wie Sie müssten doch eigentlich den ganzen Tag Teenie-Pop-Sender hören. Stehen Sie auf Radio NRJ?
Jan Simon Spielberger: Nein, ich weiß ziemlich genau, warum ich kein Radio höre. Und zwar genau aus dem Grund, aus dem ich Bastard-Pop einmal so toll fand: Es ist der Punkrock der Super-Hits. Ich hätte diese CD „Copyright Candies“ ja nicht gemacht, wenn da nur Stücke drauf wären, die ich scheiße fand. In der Kombination wurden die dann einfach cool – es war eine Art, mit den Hits zu leben.
Mittlerweile betrachten Sie sich nicht mehr als Bastard-Pop-DJ?
Nein, aber ich bin mir bewusst, dass ich dafür bekannt bin. Ich kombiniere inzwischen halt keine Superhits mehr miteinander, wie das vor einigen Jahren noch der Fall war. Ich nehme vielleicht mal noch ein Acapella von Missy Elliott und lege es unter einen Beat von Les Rhythmes Digitales; zu noch bekannteren Sachen greife ich nicht mehr. Denn Bastard Pop, wie er mal existiert hat, ist tot. Es gab eine Zeit, da sind jeden Tag Millionen von Tracks ins Internet geladen worden. Die Szene hat sich selbst obsolet gemacht: Irgendwann war der gesamte Back-Katalog der Musikgeschichte komplett gebootlegt. Daraus ergab sich dann, dass manche zu speziellen Bootlegs übergegangen sind, sich also auf HipHop oder Electro beschränken. Andere machen Glitch und zerhacken im Funkstörungsstil die Musikgeschichte.
Neben dem Auflegen betreiben Sie selbst auch zwei Labels.
Ja, da ist eben zum einen mein Bootleg-Label Exploited. Das ist wie ein Archiv, ein Kunstwerk und Dokument der Musikgeschichte zugleich. „Broken Bootlegs“ sind da erschienen, ein Mix aus vor allem HipHop-Tracks. Und eben die Copyright Candies. Das wird dann auch nach Japan und die USA vertrieben. Zum Zweiten habe ich jetzt mit meiner Band Tolcha das Label Metapolyp gegründet. Das ist ein ganz reales Label. Das hat nichts mit Bootlegs zu tun. Als Erstes erscheint dort jetzt unsere eigene EP „Fokus“, doch bin ich immer auf der Suche nach neuen Acts, die mit unserem Musikverständnis was anfangen können. Da sind wir zurzeit am Verhandeln, und ich denke, dass wir die zweite Veröffentlichung bald am Start haben. Vertrieben werden wir für den Anfang in Europa, in Nordamerika und in Japan. Insgesamt geht es bei dem Label um eine eigene Interpretation von Grime, die vielleicht etwas verspielter klingt als der Londoner Sound und nicht ganz so plump und stumpf. Ich könnte mir aber auch durchaus vorstellen, mal eine Disco-Punk-Nummer herauszubringen.
Wie würden Sie den Sound von Tolcha beschreiben?
Wir haben uns bisher immer als Electro-Dub-Band bezeichnet. Das trifft auch nach wie vor auf uns zu; wobei da inzwischen eine richtige Karambolage aus digitalem HipHop, Science-Fiction-Dub, ein paar Anleihen aus Dancehall und Grime passiert.
Seit wann gibt es Tolcha?
Seit 2001. Aus meiner Emo-Core-Band bin ich direkt da reingerutscht. Ich wollte die Plattenspieler gegen die Gitarre eintauschen und wollte dabei unbedingt in einer elektronischen Band spielen – so was wie die Sofa Surfers schwebte uns am Anfang vor, ein Gleichgewicht aus analogen und digitalen Stilmitteln. Ich hatte ja schon immer elektronische Musik gehört. Zu diesem Zeitpunkt wollte ich die endlich auch einmal live spielen und nicht nur auflegen. So kam ich dann auch zum Produzieren am Computer.
Und was ist für Sie der Unterschied zwischen Deejayen in einer Band und Auflegen alleine im Club?
Als DJ bin ich flexibler. Ich habe immer einen radikalen Mix angestrebt., in welcher Art auch immer. Da geht es um Entertainment und Spaßhaben. Ich entwickle mich schnell weiter, mein Sound verändert sich fast alle drei Monate. Tolcha ist da eine vergleichsweise beständige Geschichte. Es gibt mir den Kick, mich einzufügen in die Band, und da kommt es dann auch eher auf Virtuosität und Genauigkeit an, wenn ich die Plattenspieler als Instrument benutze.
Wie hält es ein technisch so versierter DJ wie Sie mit der Digitalisierung des Auflegens? Es gibt ja mittlerweile auch die Ankündigung vom DJ-Ausrüster Numark, noch in diesem Herbst ein speziell auf zwei iPods eingerichtetes DJ-Mischpult auf den Markt zu bringen.
Cool. (lacht) Das ist natürlich krass. Damit verstärkt sich die Entwicklung noch mal, dass einfach jeder zum DJ wird. Ich verschließe mich diesen Techniken nicht, auch wenn ich in letzter Zeit ausschließlich mit Vinyl und CD aufgelegt habe. Es ist für mich halt immer noch ein anderes Gefühl, wenn ich auf dem Laptop eine Platte als MP3 in meinen Player reinziehe und die dann über die Hardware Final Scratch ansteuere, als die Platte aus der Kiste rauszuholen und sie direkt auf einen Plattenteller zu legen. Vielleicht bin ich altmodisch.
Können Sie sich vorstellen, dass angesichts der technischen Entwicklungen wirklich auch einzelne Spuren an Bedeutung gewinnen? Im neuen Mix-Album von Richie Hawtin zum Beispiel, das bald erscheint, werden über 500 Soundquellen angezapft.
Das ist natürlich dann auch eine Art Bastard-Pop. Auf seiner Homepage kann man Hawtin ja direkt Sounds hochladen und sie ihm so zur Verfügung stellen. Das finde ich super. Genauso kann man mit der Digitalisierung arbeiten. Vielleicht sollte man das ja als Label machen: Leuten, denen man vertraut, ein Passwort geben. Damit so umtriebige Leute wie eben Richie Hawtin neue Tracks sofort testen können. Die können sich dann diese Spuren reinziehen und vielleicht sogar editieren, und dann hat man diese Kombination aus editiertem Fremdmaterial und eigenen Tracks. Das steigert ja auch den Wert des DJ-Mixes. Im Grunde läuft es immer mehr auf eine Eigenproduktion hinaus, die an Ort und Stelle passiert. Also am DJ-Pult im Club.
Samstag, 30. 7., 23 Uhr, Bastard: Record Release Party mit Tolcha, Al-Haca Soundsystem, DJs Andre Herzig & Maurice, Shir Khan, Dope On Plastic: donnerstags, 20 Uhr auf TwenFM; Mix-Downloads: www.dj-shirkhan.de