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Archiv-Artikel

Britische Anti-Terror-Razzien ausgeweitet

Auf die Verhaftung eines der mutmaßlichen Attentäter vom 21. Juli in Birmingham folgen 12 Festnahmen in London. Polizeichef Blair spricht von einem „düsteren Moment“ und warnt vor weiteren Anschlägen. Mehr Gewalt gegen Muslime registriert

VON DOMINIC JOHNSON

Mit zwölf weiteren Festnahmen unter Terrorismusverdacht hat die Londoner Polizei in der Nacht zu gestern die Bevölkerung der britischen Hauptstadt in Atem gehalten. Bei Razzien im Südlondoner Stadtteil Tooting wurden sechs Männer in einer Wohnung über einem Kebab-Imbiss und drei weitere in dem Imbiss selbst festgenommen, berichtete BBC. Einer sei ein älterer asiatischstämmiger Mann in einer weißen Robe gewesen. Bereits am Vorabend hatte es weitere Razzien in drei anderen Stadtteilen gegeben, unter anderem in einem Sozialwohnungsgebäude in Stockwell namens „Blair House“, wo drei verschleierte Frauen festgenommen wurden.

Der Einsatzort in Tooting liegt im Herzen eines stark asiatisch geprägten Stadtviertels nahe bei Londons größtem Krankenhaus. Keiner derjenigen, die wegen der gescheiterten Bombenanschläge vom 21. Juli gesucht werden, soll sich unter den Verhafteten befinden, die gestern noch verhört wurden. Die Durchsuchung der betroffenen Gebäude dauerte gestern noch an. Sprengstoff wurde nicht gefunden, hieß es.

Bereits am Mittwoch hatte die Polizei in Birmingham einen der vier mutmaßlichen Täter vom 21. Juli gefasst, den Somalier Yasin Hassan Omar. Kenias Regierung dementierte unterdessen, dass zwei der vier mutmaßlichen Täter mit kenianischen Pässen nach Großbritannien eingereist seien.

Londons Polizeichef Ian Blair sagte, er rechne mit weiteren Anschlägen in der Stadt. „Wir befinden uns in einem düsteren Moment und es bleibt möglich, dass die Flüchtigen erneut zuschlagen werden“, sagte er auf einem Polizeitreffen. „Und es bleibt möglich, dass es andere Zellen gibt, die die Fähigkeit und Intention haben, erneut zuzuschlagen.“ Die Polizei untersuche 15.000 Videoüberwachungsbänder, prüfe 1.800 Zeugenaussagen und habe 5.000 Anrufe aus der Öffentlichkeit im Zusammenhang mit der Terroristensuche entgegengenommen.

Welche Sorgen sich die Terrorfahnder in Bezug auf weitere Anschläge machen, berichtete der Independent gestern unter Berufung auf einen US-Fernsehbericht. Wenige Tage nach den blutigen Anschlägen vom 7. Juli seien in dem von einem der Attentäter am Flughafen Luton hinterlassenen Mietwagen 16 Nagelbomben gefunden worden, von Amateuren gebaut nach dem Muster von Sprengsätzen, die auch von palästinensischen Extremisten in Israel eingesetzt worden sind. Das Blatt berichtete weiter, die britische Polizei sei sehr verärgert über diese und andere Berichte in den USA, bei denen vertraulich gebliebenes Material in die Öffentlichkeit gekommen sei.

Die Polizei und muslimische Gruppen berichteten unterdessen von einem sprunghaften Anstieg von Angriffen auf Muslime seit dem 7. Juli. Gewalttaten gegen Muslime mit „Glaubensbezug“ in London seien im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 500 Prozent angestiegen, erklärte das Muslim Safety Forum, das in Zusammenarbeit mit der Polizei gemeldete Straftaten überprüft. Die Islamische Menschenrechtskommission, die auch nicht gemeldete Vorfälle sammelt, ging noch weiter: Ihr Vorsitzender Massoud Shadjareh sagte, es habe im ganzen Land innerhalb zwei Wochen 170 Angriffe auf Muslime gegeben – sonst seien es sechs oder sieben pro Woche. Er zählte neun Brandanschläge auf Moscheen, einen auf eine Garage sowie diverse Tätlichkeiten gegenüber Menschen.