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Archiv-Artikel

„Die Einführung des Rettungstotschlags“

Das Luftsicherheitsgesetz erlaubt es, entführte Flugzeuge präventiv abzuschießen – und zugleich die Opfer von Verbrechen. Burkhard Hirsch findet das rechtstaatswidrig. Der FDPler plädiert dafür, bessere Strategien gegen die Attentäter zu entwickeln

INTERVIEW BETTINA GAUS

taz: Herr Hirsch, Sie haben Verfassungsbeschwerde gegen das Luftsicherheitsgesetz eingelegt. In wessen Auftrag?

Burkhard Hirsch: Im eigenen Namen, gemeinsam mit fünf anderen Vielfliegern. Einer von ihnen ist Flugkapitän einer deutschen Luftlinie, zwei besitzen Privatmaschinen.

Auf welches Argument stützen Sie Ihre Einwände?

Es gibt zwei Argumente. Das Hauptargument gegen das Gesetz besteht darin, dass ein Staat, der ein Rechtsstaat sein will, nicht die Opfer eines Verbrechens töten darf. Das Gesetz lässt zu, dass unter bestimmten Voraussetzungen eine von Terroristen entführte Passagiermaschine abgeschossen wird. In einer solchen Maschine befinden sich aber nicht nur Täter, sondern auch Besatzung und Fluggäste. Es ist das erste Mal, dass ein Staat sich das Recht nimmt, unschuldige Menschen außerhalb eines Krieges vorsätzlich umzubringen.

Aber das Recht auf Leben galt schon vor Verabschiedung des Gesetzes nicht absolut. Auch beim finalen Rettungsschuss wird ein Mensch absichtsvoll getötet.

Ja, der Täter. Die Parallele ist falsch. Wenn Opfer vorsätzlich abgeschossen werden, dann ist das die Einführung des finalen Rettungstotschlags. Politisch wird dieser Schritt damit begründet, dass die Menschen an Bord einer von Terroristen entführten Maschine ohnehin nicht mehr lange zu leben hätten und dass es gelte, Schlimmeres zu verhüten.

Was ist daran falsch?

Diese Begründung widerspricht einem unerschütterlichen Rechtssatz: Das Recht auf Leben hängt nicht davon ab, wie lange dieses Leben möglicherweise noch dauert. Ein Arzt darf ja auch nicht einen moribunden Patienten ausweiden, um mit der Transplantation seiner Organe einen anderen Kranken zu retten. Außerdem kann nicht die Bedeutung eines einzelnen Lebens gegen die Zahl möglicher anderer Opfer verrechnet werden.

Ist das nicht eine allzu formale Betrachtungsweise, wenn die konkrete Gefahr besteht, dass ein entführtes Flugzeug in ein Atomkraftwerk gesteuert wird?

Gegenfragen: Woher will man das denn wissen? Haben die Terroristen in New York ihre Pläne angekündigt? Und falls Terroristen das tun: Kann und muss ich ihnen bedingungslos glauben? Von außen ist es niemals möglich, ein genaues Bild dessen zu erhalten, was im Inneren einer Maschine passiert. Möglicherweise befreien sich die Passagiere selbst, möglicherweise ist ein Flugzeug gar nicht entführt, sondern hat technische Probleme. Es erfüllt mich mit Sorge, dass wir immer häufiger von einem „Krieg gegen den Terrorismus“ sprechen und damit nahe legen, nun müssten andere Rechtsnormen gelten als in Friedenszeiten.

Welche Alternative würden Sie vorschlagen?

Technisch muss es vor allem darum gehen, Entführungen zu verhindern: durch intensivere Kontrollen etwa oder das Mitfliegen von Sky Marshalls. Oder auch durch die Entwicklung von Systemen, mit denen ein Flugzeug vom Boden aus gesteuert werden kann. Die Abwägung besteht nicht in Leben gegen Leben, sondern in Leben gegen Kosten und Zeitverluste. Politisch geht es darum, die Motive der Attentäter zu verstehen und Gegenstrategien zu entwickeln. Davor drückt sich die Politik seit 20 Jahren.

Sie haben von zwei Argumenten gegen das Luftsicherheitsgesetz gesprochen. Worin besteht das zweite?

Die geltende Verfassung erlaubt einen Einsatz der Bundeswehr im Inneren nur in einer bürgerkriegsähnlichen Situation. Der Versuch, das Luftsicherheitsgesetz mit Hinweis auf Artikel 35 zu rechtfertigen, muss scheitern, denn dieser Artikel erlaubt nur logistische Hilfe im Rahmen des jeweiligen Landespolizeirechts bei Katastrophen oder schweren Unglücksfällen. Ich teile die Ansicht der Länder Bayern und Hessen, die Normenkontrollklage eingereicht haben. Wenn man dieses Gesetz will, dann muss man die Verfassung ändern.

Innenminister Otto Schily und Verteidigungsminister Peter Struck halten das nach wie vor für überflüssig, haben aber jetzt angekündigt, sich einer „Klarstellung“ – sprich: einer Verfassungsänderung – nicht in den Weg stellen zu wollen. Was heißt das?

Der Begriff „Klarstellung“ ist eine Verballhornung der Wirklichkeit. Das Gesetz ist verfassungswidrig. Das sollten die Herren nicht länger verschweigen.

Benutzt die Union aus Ihrer Sicht das neue Gesetz als Lokomotive, um ihre Forderung nach erweiterten Möglichkeiten eines Bundeswehreinsatzes im Inneren und eine entsprechende Verfassungsänderung durchzusetzen?

Ja, natürlich. Da wird versucht politische Beute zu machen und ein altes Ziel auf einem Umweg durchzusetzen.