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Archiv-Artikel

Strenge und Auflösung

RETROSPEKTIVE Zwei Ausstellungen widmen sich dem 1970 verunglückten Kieler Fotografen Peter Cornelius. Dessen Arbeiten changierten stets zwischen trivialem Auftrag und künstlerischer Ambition

In Kiel erledigte Cornelius eine Auftragsarbeit nach der anderen

Sie hätten ihm gefallen, die Olympischen Spiele 1972: Sämtliche Wassersport-Wettbewerbe, und besonders die im Segeln, wurden vor den Toren seiner Heimatstadt Kiel ausgetragen. Doch Peter Cornelius, Mitbegründer der Segelfotografie, war am 5. September 1970 tödlich mit dem Auto verunglückt – auf dem Weg nach Schilksee, wo später das Olympiazentrum stand.

Eines seiner Fotomotive diente ’72 als offizielles Werbeplakat, Cornelius selbst erhielt postum den Kieler Kulturpreis. Dann geriet sein Werk in Vergessenheit. Bis 2011 in der Hamburger Fotobuch-Ausstellung „Eyes on Paris“ Fotografien Cornelius’ gleichberechtigt neben denen von William Klein oder Robert Doisneau hingen. Nun legen die Städtische Galerie Kiel und das dortige Schifffahrts- und Stadtmuseum nach: Sie zeigen eine recht umfangreiche Übersicht seines Werkes.

Einen Namen machte sich Cornelius als Stadt- und Architekturfotograf, der insbesondere das ab 1944 schwer bombardierte Kiel bis in die Nachkriegszeit dokumentiert. Den ästhetischen Kriterien der Neuen Sachlichkeit verpflichtet, fotografiert er Gebäude, städtische Anlagen und Inneneinrichtungen in formaler Strenge. Der Mensch als Nutzer oder Bewohner bleibt oft Staffage. Symptomatisch ein Foto aus dem Stadtteil Gaarden aus dem Jahr 1951: Ein junges Paar schlendert an einem frisch erbauten Hochhaus vorbei, beide schauen sie bewundernd in die Höhe. Kiel-Gaarden mit seinen Hochhausburgen wird später übrigens einer der sozialen Brennpunkte Kiels werden.

Doch dann gab es ab Mitte der 50er Jahre seine Paris- und seine Kopenhagenbilder: Da ist es, als befreie sich einer von allen fotografischen Konventionen. Cornelius legte den Schwarz-Weiß-Film zur Seite und erprobte den neuen Farbfilm. Er arbeitete mit Überblendungen, Unschärfe, Spiegelungen – und er rückte den Menschen ins Geschehen. Zu Recht kann man ihn als einen der Pioniere der Farbfotografie einordnen.

Zentrum von Cornelius’ Schaffen blieb stets Kiel, wo er eine Auftragsarbeit nach der anderen erledigte: für das Presseamt, für die Kieler Nachrichten, für Plakate und Werbeschriften – für Auftraggeber, die wenig an Experimenten oder unorthodoxen Blickwinkeln interessiert waren, sondern die sich der Imagepflege verpflichtet fühlten. „Farbenfrohes Kiel“ und „Farbiges Kiel“ hießen zwei seinerzeit sehr erfolgreiche Bildbände, in denen Kiel ganz im Sinne des beginnenden Stadtmarketings frei von Brüchen oder gar Konflikten, dafür gemütlich-lieblich und mit Fördeblick inszeniert wurde.

Seinen Hang, zum Ende der 60er Jahre hin Segelschiffe und immer mehr Segelschiffe abzulichten, mag man als Ausdruck einer gewissen Ratlosigkeit Cornelius’ deuten, sich mit dem Wandel der bundesrepublikanischen Gesellschaft auseinanderzusetzen.

Apropos Leerstellen oder Vermeidungen: Ein sicher nicht unwichtiges Kapitel aus dem Leben des Peter Cornelius bleibt auch in der derzeit zu sehenden Retrospektive komplett ausgespart: die Jahre von 1939 bis 1945. Da fotografierte Cornelius, geboren 1913, für die deutsche Wehrmacht. FRANK KEIL

Ausstellung in der Städtischen Galerie Kiel: bis 2. September. Im Stadtmuseum Kiel: bis 14. Oktober