: Unerwünschtes Gentech-Obst
GENTECHNIK I Befürworter wollen mehr Verunreinigungen in Lebensmitteln erlauben – weil sonst Waren vernichtet würden. Dabei sind die Mengen gering, wie aktuelle Zahlen zeigen
HEIKE MOLDENHAUER, BUND
VON SVENJA BERGT
BERLIN taz | Im Jahr 2009 waren es die Leinsaaten. 43 Meldungen gab es über Fälle, in denen mit gentechnisch veränderten Organismen verunreinigte Leinsaat nach Deutschland eingeführt wurde oder werden sollte. Im Vergleich der vergangenen fünf Jahre ist das die größte Häufung, Platz zwei waren Reisprodukte, und zwar im Jahr 2010. Für das laufende Jahr gibt es bislang sechs Meldungen: 3-mal Papayas und 3-mal Reis, abgefangen an der Grenze oder direkt vom Markt genommen.
Diese Zahlen gehen aus der Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Grünen-Fraktion hervor. Insgesamt sollten demnach in den vergangenen fünf Jahren 105-mal mit in der EU nicht zugelassenen Genpflanzen verunreinigte Lebens- und Futtermittel nach Deutschland eingeführt werden. Die meisten Funde habe es bei Reis aus China, Leinsamen aus Kanada sowie Papayas aus den USA und neuerdings aus Thailand gegeben, heißt es in dem Schreiben und weiter: Funde führten „je nach Fundort zu Grenzzurückweisungen der gesamten Charge oder zur sofortigen Rücknahme des Produktes vom Markt“.
Verunreinigtes Saatgut – davon gab es 2012 bereits 15 Funde – werde „vernichtet oder in Staaten innerhalb oder außerhalb der EU verbracht“. Nach Fällen, in denen es schon ausgesät war, habe man vor zwei Jahren mit den Bundesländern vereinbart, dass die Untersuchungen abgeschlossen sein müssen, bevor die Samen in den Boden kommen. Bislang habe das gewirkt.
Die Angaben sind Wasser auf die Mühlen der Gentechnik-Gegner – vor allem, was die Menge der beanstandeten Ware angeht. Dazu schreibt die Bundesregierung nämlich, dass es im Einzelfall bis zu mehrere Tonnen sein könnten. „Im Bezug auf den gesamten Umschlag klingt das nicht viel“, sagt Christof Potthof vom Gen-ethischen Netzwerk.
Harald Ebner, Sprecher für Agrogentechnik bei der Grünen-Fraktion, schätzt auf Grundlage der von der Bundesregierung gemachten Angaben, dass es sich in den vergangenen fünf Jahren höchstens um 500 bis 1.000 Tonnen handeln könne, die abgewiesen oder vernichtet wurden. „Angesichts der Mengen an Getreide auf dem Markt ist das eine geringe Menge.“ Zum Vergleich: Jährlich importiert Deutschland rund 400.000 Tonnen Reis und knapp 3,5 Millionen Tonnen Sojabohnen. Ebner geht davon aus, dass betroffene Ladungen nur selten vernichtet werden – häufiger sei etwa deren Einsatz für Biosprit.
Die Vernichtung von Lebensmitteln dient Befürwortern der Gentechnik immer wieder als Argument, bei Verunreinigungen großzügiger zu sein. So bezeichnet beispielsweise die FDP eine „Vernichtung einwandfreier Lebensmittel“ als „ethisch nicht vertretbar“ – und fordert eine Aufhebung der geltenden Nulltoleranzgrenze bei Lebensmitteln. Für Futtermittel gilt seit gut einem Jahr, dass eine sogenannte technische Verunreinigung von 0,1 Prozent erlaubt ist. Die Lockerung des Grenzwertes auf EU-Ebene geschah auf Druck von Futtermittelindustrie und Bauernverbänden – die unter anderem vor einer Knappheit an Futtermitteln warnten, sollte die Nulltoleranz bestehen bleiben. Das widerlegt nun die Bundesregierung: Seit der Lockerung des Grenzwertes habe es keinen Fall gegeben, in dem Futtermittel nach der neuen Grenzwert-Regelung eingeführt werden sollten. „Das spricht eindeutig dafür, wieder zur Nulltoleranz zurückzukehren“, sagt Heike Moldenhauer vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Die aktuelle Diskussion geht allerdings eher in die gegenteilige Richtung: Auf EU-Ebene wird die Abschaffung der Nulltoleranzgrenze auch bei Lebensmitteln debattiert.