theorie und technik
: Neue Demarkationen, neue Hegemonien

„On the political“, ein Buch der Theoretikerin Chantal Mouffe, gelesen entlang der politischen Gegenwart Deutschlands

Ernesto Laclau und Chantal Mouffe waren die beiden Theoretiker, die die politische Wirksamkeit der neuen sozialen Bewegungen begrifflich erfasst haben. Ihr Buch „Hegemony and Socialist Strategy“ war 1985 eine Zäsur in der linken Theorie. Es war eine grundlegende Abrechnung mit dem, was linke Geschichte und Theorie bis dato war und gleichzeitig der Versuch, daraus eine neue linke Position zu gewinnen. Kurzum: Laclau/Mouffe waren die Theoretiker jener politischen Umbrüche, die in Deutschland etwa eine rot-grüne Regierungsbildung erst ermöglicht haben.

Nun ist Rot-Grün vorbei, und ungefähr gleichzeitig erscheint ein neues Buch von Chantal Mouffe, „On the Political“. Das Buch der britisch-belgischen Theoretikerin hat natürlich nicht Deutschland zum Thema, dennoch erwartet man sich irgendwie Erhellendes zur gegenwärtigen Situation. Zunächst rekapituliert Mouffe noch einmal die zentralen Begriffe ihres Politikverständnisses, namentlich das Konzept der Hegemonie. Dieses sei der „Schlüsselbegriff“ für die Frage nach dem Politischen. Denn jede gesellschaftliche Ordnung sei hegemonialer Natur. Sie entfalte keine ihr äußere Logik – etwa jene der Produktivkräfte oder der historischen Notwendigkeit. Die Gesellschaft hat keinen letzten Grund, auf dem sie beruht. Sie ist eine kontingente Ordnung. Sie setzt nur unterschiedliche, antagonistische Kräfte in Beziehung. So bestimmt sie aber deren jeweilige Position und Wertigkeit. Jede Ordnung, lesen wir, sei eine „temporäre und prekäre Artikulation kontingenter Praxen“. Damit kann jede solche hegemoniale Ordnung durch gegen-hegemoniale Kräfte herausgefordert werden. Übertragen auf die deutsche Situation beschreibt diese Begriffsanordnung ein Setting, in dem die Rollen gegenüber 1985 neu verteilt sind. Rot-Grün hätte demnach die stark in Bedrängnis geratene Position einer hegemonialen Kraft. Nicht die alten politischen Konkurrenten aber, CDU, FDP, könnten diese radikal in Frage stellen, sondern jener neue Player, der in diesem Feld interveniert, das heißt, es verändert –die Linkspartei also.

Der zweite Hauptbegriff von Laclau/Mouffe ist der einer „radikalen Demokratie“. Diese hat eine doppelte Grenze: einerseits gegen den Liberalismus, der behauptet, Politik sei ein neutrales Feld, wo verschiedene Gruppen um die Macht konkurrieren. Eine Position, bei der die herrschenden Machtverhältnisse nicht in Frage gestellt werden. Anders gesagt: Dieser Liberalismus wäre die Position einer herrschenden Ordnung, die eben darum als Ziel der Demokratie den Konsens bestimmt. Während die Position der radikalen Demokratie notwendig die eines gegen-hegemonialen Konzepts sein muss, die ebendiese Hegemonie in Frage stellt und so Demokratie als Austragung und Anerkennung von politischen Konflikten versteht.

In Anbetracht dessen hätte die Linkspartei, allein durch ihr Entstehen, eben diesen liberalen Konsens über den politischen Konsens in Frage gestellt. Sie hätte den kontingenten Charakter der liberalen Demokratie, jenen „Konsens der Mitte“, sichtbar gemacht. Sie würde also den notwendigen politischen Konflikt quasi alleine austragen. Einen Konflikt, der in Zeiten der Post-Politik, wo die Dimension der tatsächliche Auseinandersetzung ausradiert scheint, eine Demarkationslinie zwischen Konfrontation und Konsens zieht.

Gleichzeitig geht es Mouffe aber darum, ihr Konzept einer „radikalen Demokratie“ auch gegen einen leninistischen Politikzugang abzugrenzen. Der Antagonismus, den sie ins Auge fasst, ist nicht der einer Feindschaft oder eines revolutionären Bruchs. Der notwendige politische Konflikt sei nicht der Akt einer politischen Neufundierung. Ein gegen-hegemoniales Projekt in ihrem Sinne soll die Machtverhältnisse herausfordern und gleichzeitig kompatibel mit der „Aufrechterhaltung der Institution der formalen Demokratie“ sein. Es soll reale politische Ansprüche artikulieren, aber im liberal-demokratischen Rahmen.

Das Buch könnte sich wie eine Beschreibung der gegenwärtigen deutschen Situation lesen. Trotzdem bleibt die Frage: Kann die Linkspartei wirklich das gegen-hegemoniale Projekt werden, als das sie angetreten ist? Kann sie wirklich einen politischen Konflikt im positiven Sinne inaugurieren – oder ist sie nur ein Symptom für den Mangel an ebendiesem Konflikt? ISOLDE CHARIM