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Du hast Geburtstag, Kleine

Letztes Jahr im Frühsommer war es, ich stand am Rand von mit wildem Hopfen überwucherten Sträuchern in den Berliner Rehbergen, einem Park, und pflücke die jungen Triebe, die wie fadendünner Spargel aussehen und angebraten eine Delikatesse sind. Zwei Frauen, Hand haltend und ins Gespräch vertieft, schlendern am Weg vorbei. In einigem Abstand kommt langsam auch ein kleines Mädchen daher. Die beiden Frauen halten an, drehen sich um. Das kleine Mädchen bleibt auch stehen, hebt seinen Kopf, schaut die beiden an. Sein Gesicht ganz ernst. Es denkt. Und plötzlich sagt es: „Wenn ich Geburtstag habe, will ich eine Puppe.“ Die zwei Frauen lachen, eine sagt „komm“, die andere „du hast doch keinen Geburtstag“.

„Oh, was für ein Satz.“ Sie sagte „doch“, sie sagte nicht: „noch“. „Du hast noch keinen Geburtstag.“ Den meisten wird sich dieser Unterschied, der wie ein Geheimcode ist, erst gar nicht erschließen. Mir schon. Ich habe ihn oft gehört. „Ist die Kleine am 29. Februar geboren?“, frage ich sofort und es klingt mehr nach Aufschrei. Erst sind die Frauen irritiert, dann nicken sie, nicken lachend. Und jetzt legt sich sogar etwas wie Genugtuung über ihre Gesichter ob des Besonderen, das der Kleinen anheim ist. Als wäre das Besondere, dessentwegen sie die Kleine reinlegen wollten, nun plötzlich ihr Verdienst.

Mich können sie damit nicht beeindrucken. „Lass dich nicht täuschen, kleines Mädchen, du hast Geburtstag, du hast auf jeden Fall Geburtstag“, rufe ich dem kleinen Mädchen zu. „Ich weiß das. Deine Mamas sollen dir die Puppe schenken. Mir geht es genauso, ich bin wie du am 29. Februar geboren.“ Da passiert etwas, das ich ebenfalls kenne: Die Minen der Frauen verfinstern sich, als hätte ich ihnen (nicht ihrer Tochter), das Alleinstellungsmerkmal streitig gemacht. Und es ist ja auch so, genau das habe ich getan.

Das kleine Mädchen aber bleibt stehen, guckt einen Augenblick, rennt dann zu ihren Müttern. „Will die Frau auch eine Puppe?“ fragt es. Waltraud Schwab

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