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Archiv-Artikel

Schröder-Motivforschung ohne Schröder

In Karlsruhe wird Kanzler Schröder sich wohl vertreten lassen. Kläger Werner Schulz: „Fortsetzung der Ignoranz“

FREIBURG taz ■ Die Hauptfigur wird am kommenden Dienstag im Bundesverfassungsgericht wahrscheinlich fehlen. Viel deutet darauf hin, dass Bundeskanzler Gerhard Schröder der mündlichen Verhandlung über die Neuwahlen fernbleiben wird. „Das ist die Fortsetzung der Ignoranz, die der Kanzler bisher gegenüber den Abgeordneten gezeigt hat“, kritisierte Werner Schulz (Grüne), der in Karlsruhe gegen die Auflösung des Bundestages klagt.

Formal besteht für Gerhard Schröder keine Anwesenheitspflicht. Zum einen richten sich die Klagen von Werner Schulz und Jelena Hoffmann (SPD) nicht gegen ihn, sondern gegen Bundespräsident Horst Köhler, da jener den Bundestag aufgelöst hat. Zum anderen wird sich sogar Köhler vor dem Verfassungsgericht vom Chef des Bundespräsidialamtes, Michael Jansen, vertreten lassen.

Dennoch läge eine Teilnahme des Kanzlers an der Verhandlung sehr nahe. Denn letztlich geht es um seine persönliche Beurteilung, ob er auf eine stetige Mehrheit im Parlament bauen konnte oder nicht. Die Kläger Hoffmann und Schulz machen geltend, dass er seinen Beurteilungsspielraum in dieser Frage missbraucht hat, um aus ganz anderen Gründen Neuwahlen herbeizuführen. „Es wäre wirklich gut, wenn der Kanzler käme, um seine Position zu erläutern“, sagt Professor Wolf-Rüdiger Schenke, der Prozessbevollmächtigte von Werner Schulz.

Schulz selbst wird deutlicher: „Wenn der Kanzler fehlt, dann ist das ein Eingeständnis seiner schwachen Position. Wer starke Argumente hat, stellt sich vor Gericht.“ Gerne hätte er den Kanzler persönlich gefragt, bei welchen konkreten Projekten er denn Angst um seine Mehrheit im Parlament hatte. „Dazu hat er bei der Vertrauensfrage im Bundestag nämlich nur wolkige Andeutungen gemacht“.

Die Bundesregierung will erst Ende der Woche endgültig entscheiden, wer aus ihren Reihen nach Karlsruhe kommt. 1983, als es am Verfassungsgericht erstmals um die Zulässigkeit einer künstlich herbeigeführten Neuwahl ging, war Kanzler Helmut Kohl auch nicht anwesend, sondern der Innenminister Friedrich Zimmermann (CSU). „Das war auch in Ordnung, denn es ging dabei vor allem um Rechtsfragen“, erinnert sich Wolf-Rüdiger Schenke, der bereits damals klagende Abgeordnete vertreten hat, „heute spielt aber die Motivforschung eine zentrale Rolle“.

Im Mittelpunkt der Verhandlung dürfte deshalb vermutlich eine 250-seitige Dokumentation aus Zeitungsartikeln stehen, die das Kanzleramt für Bundespräsident Köhler zusammengestellt hat. Damit sollten „Schwierigkeiten bei der Umsetzung von Regierungsvorhaben“ belegt werden. Das Dossier ist allerdings bis heute nicht öffentlich. Begründung: keine. Im Kanzleramt verweist man auf das Präsidialamt. Dort hält man den „Urheber“, das Kanzleramt, für zuständig. CHRISTIAN RATH