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Archiv-Artikel

Körperlich gebunden

PROBENBESUCH Heute wird Helena Waldmanns Stück „BurkaBondage“ im Haus der Berliner Festspiele uraufgeführt. Fallschirmseide und Seile spielen eine Rolle in den sich ständig wandelnden Bildern von Fesselung und Freiheit

Das Burka-Gewand und die Fesselungskunst - zwei verschiedene Formen beschränkter Freiheit

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Die Fallschirmseide ist zerschlissen, der Stoff hat Löcher. Dennoch reicht er, um den Boden der Bühne zu bedecken, auf der die Regisseurin Helena Waldmann „BurkaBondage“ probt. Wenn Vania Roviso den Fallschirm, der bis dahin halb hochgezogen von der Decke hing, über der ganzen Fläche ausbreitet, verändern sich die Konnotationen der Bilder. Was eben noch nach kriegerischer Handlung und Eroberung eines Landes aussah, beginnt jetzt dem Profil einer Landschaft zu ähneln, von feinen Wellenlinien durchzogen.

Irgendwann fängt die Tänzerin Yui Kawaguchi an, sich von einer anderen Ecke aus in den Stoff einzudrehen, wie in einen Kokon. Wirbellinien durchziehen die Seide in alle Richtungen. Sie korrespondieren mit den Klangwellen, die Mohammad Reza Mortazavi aus einem mit Stoffbändern umwickelten Kubus mitten auf der Bühne aussendet. Und was eben noch eine Bewegung des Ausdehnens war, kehrt sich um in eine des Zusammenraffens und Verengens.

An dieser kurzen Sequenz, reich an äußeren und inneren Bildern, fehlt noch der Feinschliff, die Synchronisierung der Abläufe. Auf Deutsch und Englisch redet Helena Waldmann mit ihren Performern, die aus Portugal, Japan und dem Iran kommen, teils aber schon länger in Berlin leben. Sie haben an „BurkaBondage“ bisher in einem Kreuzberger Probenraum gearbeitet, jetzt geht es um die Einpassung an der Bühne der Uraufführung am 9. Oktober im Haus der Berliner Festspiele.

Helena Waldmann ist nicht nur eine Regisseurin mit Wohnsitz in Berlin, sondern auch Weltreisende. Mit ihrem Stück „Letters from Tentland“ für und mit iranischen Performerinnen erhielt sie seit 2005 viele Einladungen, auch vom Goethe-Institut aus Kabul. Ein Workshop schloss sich an, elf Tage lang arbeitete sie mit jungen Frauen in Kabul, schwer beeindruckt von deren Liebe zu einer Kunstform in einem Land, in dem theaterspielende Frauen sehr leicht Diskriminierung und Bedrohung ausgesetzt sind.

Ausgangspunkt Kabul

Auch wenn Waldmanns Aufenthalte in Afghanistan nicht lang waren und sie außer Theater, Workshop und Hotel nicht viel sehen konnte – das Goethe-Institut wacht über die Sicherheit seiner Gäste – beginnt mit dieser Erfahrung die Vorgeschichte ihres Stücks „BurkaBondage“. Aber anders als „Letters from Tentland“, das über die Möglichkeiten des Theatermachens und das Leben junger Frauen in Teheran erzählte, sei „BurkaBondage“ kein Stück über Afghanistan und Japan, betont Helena Waldmann im Gespräch.

In Kabul und in Japan seien ihr vielmehr kulturelle Phänomene aufgefallen, für die es dort starke Bilder gibt, die aber, und das ist ihr wichtig, woanders auch gelebt, nur weniger gesehen werden. Das ist das Bedürfnis nach Rückzug, Privatheit, Ausklinken aus allen Forderungen. Das Gewand der Burka und die Kunst der Fesselung sind für sie unterschiedliche Formen, durch Beschränkung Freiheit zu gewinnen, im Rückzug aus der Öffentlichkeit einen anderen Raum zu suchen. „In der Bondage“, glaubt Waldmann zum Beispiel, „gibt man Kontrolle ab, wenn man körperlich gebunden ist. Damit befreit man sich auch von der eigenen Verantwortung.“ Dann schwärmt sie von der alten japanischen Knotenkunst, die auch das Einknüpfen einer Melone, um sie vom Markt nach Hause zu tragen, oder das Binden eines Kimono umfasst.

Es ist sehr verführerisch, Waldmanns Umgang mit den politisch und sexuell besetzten Images von Burka und Bondage als politischen Kommentar zu lesen. Damit kokettiert der Stücktitel. Aber beide Bilder sind nur Ausgangspunkt einer Reise, die in der konkreten Zusammenarbeit der Performer ihre eigene Dynamik entfaltet hat. Da geht es in erster Linie „um zwei Menschen, zwei Körper, die nicht die gleiche Sprache sprechen, aber doch voneinander abhängig sind“, sagt Helena Waldmann. „Die Notwendigkeit, das Gegenüber zu spüren“, das sei dabei die Herausforderung gewesen, sagt Waldmann, und diese Erfahrung bildet den Gegenpol zu den Tendenzen des Rückzugs. Sei es in einem Bild, in dem Vania und Yui mit Schnüren konkret verbunden sind, die eine als Drache in der Luft, die andere als ihre Lenkerin, sei es, wenn die beiden in Aufteilung des Raumes miteinander klarkommen müssen.

Was im Reden über Rückzug und Freiheit, das Verschwinden oder die Sichtbarkeit der Körper oft sehr theoretisch klingt, gewinnt in den Bildern, die zwischen den Performern entstehen, dann eine ganz andere Plastizität und Plausibilität. Und auf die kommt es schließlich an.

„BurkaBondage“, Haus der Berliner Festspiele, 9. + 10. + 11. Oktober, 20 Uhr.