Ein-Euro-Jobs auf den Friedhof

Hartz IV wird in Hamburg falsch umgesetzt, warnt die Gewerkschaft ver.di. Der Senat schicke Arbeitslose massenweise in Ein-Euro-Jobs, statt die Menschen nachhaltig zu qualifizieren. Zugleich zersetze die Billigarbeit das Beschäftigungssystem

von Eva Weikert

Roland Kohsiek ist in großer Sorge. Der Arbeitsmarktexperte beim Hamburger Landesverband der Gewerkschaft ver.di hat rund ein halbes Jahr nach Einführung von Hartz IV eine Zwischenbilanz gezogen. Das Ergebnis ist alarmierend: Statt Langzeitarbeitslosen sozialversicherungspflichtige und qualifizierende Fördermaßnahmen anzubieten, offeriere die Hamburger Hartz-IV-Behörde den Stützebeziehern nahezu ausschließlich Ein-Euro-Jobs, wie Kohsiek gestern vor der Presse rügte. Schon würden reguläre Arbeitsplätze durch tausende neue Billigarbeiter in der Stadt verdrängt. Der Gewerkschafter forderte den CDU-Senat auf, „die Fehlsteuerung zu korrigieren“.

Die rot-grüne Bundesregierung hatte die Ein-Euro-Jobs zum Januar eingeführt. Die Vermittlung erfolgt durch die damals ebenfalls etablierte Hartz-IV-Behörde „Arge“, die Langzeitarbeitslose in Lohn und Brot bringen soll. „Auf der institutionellen Ebene wird Hartz IV in Hamburg bisher sehr schlecht umgesetzt“, kritisiert Kohsiek die neue, von Arbeitsagentur und CDU-Senat gemeinsam geführte Behörde. Zum einen „schwächelt“ deren EDV „immer noch“, so der ver.di-Gewerkschafter. Zum anderen aber sei die hiesige Arge, die 181.400 Menschen in ihrer Kartei führt, mit 1.300 Mitarbeitern schlecht ausgestattet. Kohsiek: „1.900 Mitarbeiter wären nötig, damit die Arbeit klappt.“

Einen Ein-Euro-Job sollen die Arge-Mitarbeiter eigentlich nur als letztes Mittel einem Arbeitslosen zumuten. Denn nach dem Gesetz gilt die Maßnahme als „nachrangig“. Zugleich muss der Billigjob zusätzlich und gemeinnützig sein. Bisher arbeiten in Hamburg schon 9.000 Langzeitarbeitslose ohne Arbeitsvertrag und Arbeitnehmerrechte in einem Ein-Euro-Job. Unter anderem machen sie Hausmeisterarbeiten, halten Parks und Kinderspielplätze sauber und helfen in Pflegeheimen und Kitas.

Für die Zeit dieser befristeten Beschäftigung fallen die Jobber aus der Statistik, die zuletzt rund 69.300 Langzeitarbeitslose auswies. Insgesamt soll die Zahl der Arbeitsgelegenheiten für einen oder zwei Euro die Stunde um 2.500 auf 11.500 anwachsen.

Im Gegenzug, warnt Kohsiek, sei bei den Teilnehmerzahlen der „nachhaltigen“ arbeitsmarktpolitischen Instrumente wie Weiterbildungen, ABM und Umschulungen ein „absoluter Tiefstand“ erreicht (siehe Kasten). Die Arge, rügt er, nutze nicht die „breite und differenzierte Instrumentenpalette“, sondern konzentriere sich „ganz deutlich“ auf Ein-Euro-Jobs. Deren Angebot in der vom Senat geplanten Größenordnung sei „falsch“, urteilt Kohsiek: Weil keine Qualifizierung erfolge, ist die Billigarbeit „arbeitsmarktpolitisch untauglich“. Sie führe die Teilnehmer keineswegs, wie der Gesetzgeber verheißt, in Festanstellung, „sondern drückt auf das Beschäftigungssystem“.

Als Beispiele für die Verdrängung regulärer Arbeitsplätze nannte Kohsiek den NDR, wo Ein-Euro-Jobber unter anderem Anträge anderer Langzeitarbeitsloser auf Gebührenbefreiung prüfen, oder das Friedhofsamt Hamburg-Bergedorf, „wo schon mehr Ein-Euro-Jobber als Festangestellte arbeiten“. Auch der sonntägliche Fischmarkt werde inzwischen von einer „Ein-Euro-Kolonne“ gesäubert. Und das Zoologische Institut der Universität, brachte der Gewerkschafter einen weiteren Missbrauch vor, nutze eine Ein-Euro-Jobberin sogar zur Akquise von Sponsorengeldern.