Lieber Jörg Schönbohm …

Offener Brief eines DDR-Proletariers an den Innenminister des Landes Brandenburg

Mein General! Der Schmerz hat Sie hingerissen. Neun Brandenburger Landeskinder, das hagelt ins Kontor! Neun stramme junge Menschen, die im Westen ihre Arbeitskraft hätten anbieten können. Und selbst wenn sie in Frankfurt (Oder) um die Feuerstelle der PDS-Basisgruppe herum hocken geblieben wären, lauernd und jammernd ihre staatlichen Alimente verzehrend: So weit, dass die Wohnbevölkerung sich vorsorglich selber dezimieren darf, sind wir nicht. Zumindest hat es diesbezüglich noch keinen Befehl gegeben.

Sie haben aus Ihrem Herzen keine Kindsmördergrube gemacht, mein General. Sie haben Ihren Märkern ausgerichtet, dass Sie sie zum Kotzen finden. Wiederholt haben Sie denen das gesagt, nur hören die etwas spät. Wenn sie sich in die Rübenfurchen ducken, verklebt’s ihnen die Ohren. Und Sie – mit Verlaub, mein General – nuscheln vor der Truppe. Sie haben sie in Ihren berühmten Tagesbefehlen wissen lassen, dass Sie sie für Stasitäter, patzige „linke“ Verweigerer beziehungsweise radikalisierte Simulanten halten. Und nun meucheln sie auch noch schockweis’ ihre Brut. Recht haben Sie, mein General! Man könnte Ihnen Blumenkästen zeigen im Lande, da würden Ihnen die Augen übergehen! Oben Petunien respektive Pelargonien, subkutan das finstre Grauen.

Die sind so, dafür können die nichts. Unter Ulbricht sind sie verroht. Sie sind in Wochenkrippen aufgewachsen, lernten auf Appellplätzen das Zählen, wurden in den Großküchen der Maschinen-und-Traktoren-Stationen mit Bergen dampfender Kartoffeln grundernährt, in der NVA zum scharfen Schuss und im Demokratischen Frauenbund Deutschlands zum Kindsmord konditioniert. Zu Hause hatten sie Doppelstockbetten, und ihre Taschenuhren haben sie mit dem zwanziger Maulschlüssel aufgezogen. Manfred Krug hat ihnen vorgespielt, wie man als Prolet durch die Finger rotzt. Sie waren nie bei den Rotariern und nicht bei den Burschenschaften, waren keine Ministranten und haben keine Krippenspiele aufgeführt. Arm dran waren sie. Und furchtbar fruchtbar – fruchtbar wie Sabine H.

Das alles haben Sie, mon General, der Bagage mehrmals auf die niedrigen Stirnen zugesagt und sind trotzdem ihr heimlicher Ministerpräsident geworden. Wenn mit den Leuten schon keine Demokratie zu machen ist, entscheiden die Kader nämlich alles. Sie dürfen das. Sie sind ja selbst ein „waschechter Brandenburger“, mein General, „schon vom Urgroßvater her“. Aber einer, der in der Sonne der Freiheit heranwuchs. Sie zeigen dem Völkchen am lebenden Objekt, wie ein Märker auch sein kann: empathisch bis zum Exzess, charmant, humanistisch gebildet, gottesfürchtig, humorvoll, diszipliniert, familientüchtig, tolerant, prinzipiell, herb nach Pferd und Leder duftend und durchtrainiert bis hinein in die Jahre der Reife! Wenn das Volk wäre wie Sie, mein General, müsste es nicht seine Kinder fressen.

Sie, mein General, ahnen eben, was der Entzug an Zivilität und des Deutschlandliedes aus den Brandenburgern gemacht hat. Die haben nie am eigenen Körper spüren dürfen, wie sich Schübe von Nächstenliebe und Zärtlichkeit über die Seelen der Besitzer von Grundstücken, Eigentumswohnungen, Fabriken und Aktienpaketen ergießen. Die spielerische Heiterkeit und Mitmenschlichkeit der kapitalistischen Auslese haben sie auch noch nach 15 Jahren nicht begriffen. Jetzt, wo sie nicht mehr von der Stasi dazu angehalten werden, sich füreinander zu interessieren, lassen sie die Sau raus. Beim Bäcker sagen sie nicht einmal mehr „Guten Morgen“, wie die IHK Potsdam kürzlich berichtete. Gerade mal ein uninspiriertes „Heil Hitler“ quält sich über ihre schrundigen Lippen. In den Einkaufsbaracken zerren sie einander die Schnäppchen aus den Händen und drohen sich wechselseitig Denunziation beim Arbeitsamt an. Die vielfache Mama Sabine H. – hat Bild enthüllt – ist nicht nur eine leidenschaftliche Trinkerin, sondern auch Sympathisantin der PDS. Unter anderem schätzt sie an dieser Partei das familienfreundliche Konzept.

Wie es nun weitergehen soll, mein General? Nun, erst einmal müssen Sie Ihren Schmerz überwinden! Dann müssen wir uns eingestehen: Für Liederabende auf dem Lande fehlt das Geld. Schulen schließen, und die charakterlichen Segnungen infolge frohen Schaffens im eigenen Kleinbetrieb werden die Brandenburger wohl nicht mehr erreichen. Man kann nur abwarten, was die mit sich machen werden. Blumenkübel sollten Sie jedoch periodisch durch die staatlich bestellten Schornsteinfeger kontrollieren lassen.

Sie haben sich nun bei denen entschuldigt, „die sich beleidigt fühlen“. Das war taktisch klug und gewitzt: Fühlen! Als ob Gefühl Ackerbürgers Stärke wäre! Machen Sie nur so weiter, mein General! Mit freundlichen Grüßen, Ihr MATHIAS WEDEL