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Archiv-Artikel

„Als Weißer falle ich nun mal auf“

Der Sprinter Tobias Unger ist der neue Held des Deutschen Leichtathletik-Verbands. Und das, obwohl er bei der heute beginnenden Weltmeisterschaft in Helsinki kaum eine Medaillenchance hat. Seltsam? Das taz-Gespräch mit Unger über realistische Ziele, dicke Oberarme und Rassismus im Sprint

INTERVIEW FRANK KETTERER

taz: Herr Unger, ist der Sprint eine rassistische Disziplin?

Tobias Unger: Nein, das würde ich nicht so sagen. Wenn es manchmal heißt, dass ich der derzeit schnellste Weiße bin, dann ist das bestimmt nicht rassistisch gemeint, sondern lediglich der Tatsache geschuldet, dass meine Konkurrenten eben eine andere Hautfarbe haben. In der Weltspitze bin ich als Weißer einfach eine Seltenheit, ein Exot. Da falle ich nun mal auf.

Wie lebt es sich als schnellster Weißer?

Ganz gut. Auch wenn die Ruhe ein wenig flöten gegangen ist, weil ich in letzter Zeit doch ziemlich viele Termine hatte. Aber es ist immer noch so, dass ich es genießen kann.

Was macht den Reiz aus, so schnell zu laufen?

Es macht einfach Spaß. Zumal der Sprint mich seit jeher gereizt hat, selbst als ich noch nicht so gut war. Und jetzt, da ich konstant recht schnelle Zeiten laufe, macht es natürlich noch mehr Spaß.

Wann sind Sie mit einem Rennen zufrieden?

Wenn ich gewinne.

Das ist schon alles?

Ja. Meistens reicht mir das. Außer vielleicht bei einer Weltmeisterschaft oder bei Olympischen Spielen, wo ich vielleicht nie gewinnen werde oder zumindest derzeit noch nicht gewinnen kann. Da reicht es mir dann, wenn ich die Zeiten erreiche, die ich mir vornehme.

Auf wie viele Zehntelsekunden genau spüren Sie schon während eines Rennens, wie schnell Sie unterwegs sind?

Rund eine Zehntel plus oder minus. Dafür entwickelt man im Laufe der Jahre einfach ein Gespür.

Mitte Juli, beim Sportfest in Leverkusen, haben Sie es schon rund 20 m vor dem Ziel austrudeln lassen und sind trotzdem nur knapp über ihrem deutschen 200 m-Rekord geblieben, der derzeit bei 20,20 Sekunden steht. Welche gefühlte Zeit war an diesem Tag möglich?

Da ich in den Tagen davor ziemlich viele Termine und Stress gehabt habe, hatte ich mir für dieses Rennen eigentlich nicht so viel vorgenommen, irgendetwas um 20,40 Sekunden. Ich bin dann aber gut durch die Kurve gekommen und war trotz relativ kühler Witterung recht schnell unterwegs. Also ein bisschen schneller als die 20,24 Sekunden, die am Ende gestoppt wurden, wäre es schon noch gegangen.

Was bedeutet das für die nähere sowie die weitere Zukunft?

Es bedeutet, dass ich bei der WM in Helsinki hoch motiviert und selbstbewusst an den Start gehe. Die Weltmeisterschaft ist zwar ein Turnier und fängt jeden Tag neu an, was bedeutet, dass man auch mal einen schlechten Tag erwischen und früh ausscheiden kann. Aber mir ist das schon so lange nicht mehr passiert – und deshalb sehe ich auch keinen Grund, warum es ausgerechnet in Helsinki passieren sollte. Wichtig ist einfach, dass ich mich nicht an irgendwelchen Amerikanern, die Zeiten von 19,90 Sekunden laufen können, orientiere, sondern an den Konkurrenten, die in etwa so schnell sind wie ich. Wenn ich die alle schlage, komme ich automatisch recht weit nach vorne.

Ihr WM-Ziel haben Sie mit Finalteilnahme angegeben. Das klingt bescheiden.

Ich bin sogar noch bescheidener und sage: Wenn ich 20,20 Sekunden laufe, also die Zeit meines deutschen Rekords, und es reicht damit nur fürs Halbfinale, dann bin ich damit auch zufrieden.

Warum dürfen Sie „nur“ Siebter oder Achter werden – und werden hier zu Lande dennoch als Held gefeiert?

Vielleicht profitiere ich davon, dass viele darauf gewartet haben, dass es endlich mal wieder ein deutscher Sprinter in die Weltspitze schafft. Wobei man ganz klar sagen muss, dass beispielsweise die Leistungen einer Steffi Nerius mindestens genauso stark einzuschätzen sind. Nur freuen sich die Leute über einen, der im Sprint Fünfter wird, fast genauso wie über einen Weltmeister im Speerwerfen. Es fasziniert die Zuschauer einfach, dass Menschen so schnell laufen können.

Nichtsdestotrotz: Andere Sportler vollbringen auch Unglaubliches – und werden doch weit weniger freundlich beurteilt wie Sie. Jan Ullrich beispielsweise würde man für Platz sieben nicht feiern, sondern steinigen.

Das stimmt schon. Aber es kommt auch immer darauf an, was man im Vorfeld so sagt. Wenn Jan Ullrich sagt, er möchte angreifen und die Tour gewinnen, dann muss er sich an diesen Worten eben auch messen lassen. Man muss da wirklich aufpassen, dass man sich seine Ziele immer realistisch setzt.

Das heißt, Sie stapeln lieber tief?

Ich laufe lieber schneller als angekündigt. Es bringt mir doch nichts, dass ich, wie letztes Jahr zum Beispiel Ingo Schultz, ankündige, Olympiasieger werden zu wollen, und am Ende sind fünfzehn Leute vor mir.

Sie hingegen sind mit ihrem siebten Platz von Athen zum Retter der kriselnden deutschen Leichtathletik aufgestiegen. Der Spiegel nennt sie das „ideale Zugpferd“, die FAZ unterstellt der Szene allenthalben „Hunger auf Unger“, rund um ihre Auftritte im Stadion herrscht die blanke Euphorie. Fühlen Sie sich wohl in dieser Rolle?

Manchmal wird schon arg viel Trubel um mich gemacht, und nach wie vor bin ich erstaunt, wie viel darüber geredet und geschrieben wird. Auf der anderen Seite werte ich das als Anerkennung für meine Leistungen.

Wie sehr belastet es Sie, die deutsche Leichtathletik retten zu müssen?

Ich mache mir da keinen großen Kopf drüber. Ich will nur meinen Teil dazu beitragen, dass es mit der deutschen Leichtathletik wieder ein bisschen aufwärts geht. Und am besten kann ich das, wenn ich möglichst schnell bin.

Woran hat es in der deutschen Leichtathletik zuletzt gekrankt?

Die guten Ergebnisse haben einfach gefehlt.

Wobei auffallend ist, dass der deutsche Nachwuchs bei seinen Welt- und Europameisterschaften die Nase durchaus auch in der jüngsten Vergangenheit mit vorne hatte.

Das stimmt schon. Da fehlt es zum Teil an der Absicherung beim Übergang zu den Aktiven. Vom Deutschen Leichtathletik-Verband gibt es ja kein Geld – und deshalb müssen viele junge Athleten neben dem Sport noch eine Ausbildung machen oder jobben gehen. In dieser Phase gehen viele junge Talente verloren. Hinzu kommt, dass viele schon sehr jung sehr viel trainieren. Die sind viel zu früh am Limit, auch muskulär – und können sich dann später gar nicht mehr steigern. Ich zum Beispiel habe zu Jugendzeiten nie mehr als fünf Trainingseinheiten in der Woche gemacht.

Wo kann und muss ein Verband da helfen?

Die finanzielle Absicherung muss einfach besser werden. Die Athleten müssen etwas von den Sponsorengeldern, die der Deutsche Leichtathletik-Verband einstreicht, abbekommen. Das müssen keine tausende von Euro sein, aber ein kleiner, monatlicher Grundbetrag, der es mir erlaubt, den Sport in den Mittelpunkt zu stellen, der sollte schon drin sein. Auf der anderen Seite liegt es manchmal auch an den Athleten selbst und an ihrer Einstellung. Man kann nicht alles auf den DLV abschieben, sondern muss auch selbst aktiv sein.

Sie und Ihre Erfolge sind weniger ein Kind des Verbands als vielmehr Ihres Vereins, der LAZ Salamander Kornwestheim-Ludwigsburg. Ist das der bessere Weg?

Auf jeden Fall. Wir arbeiten zwar mit Bundestrainer Uwe Hakus zusammen, aber Mihai-Marius Corucle, der seit über zehn Jahren mein Heimtrainer ist, trifft alle wesentlichen Entscheidungen. Für mich ist es wichtig, dass er und ich in Ruhe arbeiten können.

Es heißt, Sie seien Perfektionist und überließen nichts dem Zufall. Unter anderem werden Sie von zwei Physiotherapeuten, einem Sportarzt, einem Ernährungswissenschaftler und einem Psychologen betreut. Ist solche Detailarbeit typisch schwäbisch?

Sie ist zumindest akribisch – und vielleicht liegt uns Schwaben das tatsächlich im Blut, wie man ja auch an Jürgen Klinsmann sehen kann. Training allein reicht heutzutage einfach nicht mehr, wenn man Weltklasse sein möchte. In so einem Team aber macht jeder das, für was er ausgebildet ist. Mein Trainer zum Beispiel trinkt fast nur Cola. Was soll er mir da über Ernährung sagen? Deshalb hat er es in andere Hände gegeben.

Nur einen Manager haben Sie nicht. Warum nicht?

Für die sportlichen Belange habe ich ja einen, nur nicht für die wirtschaftlichen. Das mache ich bislang noch selbst. Vermarktungsfirmen gibt es ja wie Sand am Meer. Aber man muss aufpassen, dass man nicht eine erwischt, die einen nur von Termin zu Termin scheucht, um möglichst viel Kohle mit einem zu verdienen.

Da trifft es sich gut, dass Sie Bankkaufmann gelernt haben und derzeit Sportmanagement in Tübingen studieren. Wie würde der Sportmanager Unger den Sprinter Unger vermarkten?

Am besten bei einer großen Firma, die etwas mit Geschwindigkeit zu tun hat. Ein paar Spitznamen wie Turbo-Tobi oder Schwabenpfeil habe ich ja schon.

Herr Unger, als für die Weitspringerin Bianca Kappler bei der Hallen-EM in Madrid 6,96 m gemessen wurden, hat sie das Kampfgericht darauf aufmerksam gemacht, dass diese Weite nicht stimmen könne, weil sie gar nicht in der Lage sei, so weit zu springen. Bei welcher Zeit würden Sie denken, dass es sich nur um einen Messfehler handeln kann?

Bei optimalen Bedingungen kann ich bestimmt auch unter 10,0 Sekunden laufen – irgendwann einmal. Derzeit würde ich aber, wenn diese Zeit aufleuchtet, noch sagen: Da stimmt was nicht.

Im taz-Interview hat Bianca Kappler anschließend gesagt, dass es „negativ angehaucht“ gewesen wäre, wenn sie, die sonst rund 6,60 m springt, plötzlich bei fast 7 m landet. Können Sie nachvollziehen, was sie damit sagen wollte?

Klar. Bianca ist eine faire Sportlerin – und zu einer fairen Sportlerin gehört einfach dazu, dass sie ehrlich zu sich und zu den anderen ist.

Zudem gesagt hat Bianca Kappler, das man als Sportler sehr genau wisse, wann es in seiner Disziplin mit rechten Dingen zugeht und wann nicht. Stimmen Sie dem zu?

Auf jeden Fall. Wenn man ein paar Jahre dabei ist, kann man bestimmte Dinge schon erkennen.

Und: Geht es im Sprint mit rechten Dingen zu?

Na ja, die meisten Sportler sind schon ehrliche Leute – und ich kenne mich ja beispielsweise bei den Amerikanern auch gar nicht aus, wie und was die trainieren. Aber ein paar Auffälligkeiten gibt es natürlich schon hin und wieder, gerade wenn die Leistung um vier, fünf Zehntel hin- und herschwankt. Da wundert man sich schon.

Zum Beispiel darüber, wie man vom Laufen so dicke Oberarme bekommen kann?

Wenn man mitkriegt, dass der eine oder andere nur vier-, fünfmal pro Woche trainiert und trotzdem Zeiten unter 10 oder 20 Sekunden läuft, dann macht einen das in der Tat stutzig.

Ihr Trainer ist kürzlich deutlicher geworden. Er hat gesagt: „Es gibt Jungs, die dopen wie die Schweine.“

Ja. Die gibt es auf jeden Fall. Davon bin ich überzeugt.

Unter Umständen werden Sie wegen solcher Betrüger nie Weltmeister oder Olympiasieger.

Kann sein. Aber ich habe meinen Sport aus einer anderen Überzeugung heraus angefangen. Ich mache das für mich – und wenn ich dann am Ende nicht ganz so weit komme wie andere, die vielleicht dopen, dann ärgert das natürlich ein bisschen. Aber ich verschwende nicht meine Zeit damit. Bevor ich jeden Tag zehn Minuten darüber nachdenke, trainiere ich lieber ein bisschen mehr und komme denen vielleicht ein Stückchen näher. Das bringt mir persönlich viel mehr.