unterm strich
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Ein schöner Satz eigentlich, den Walter Kempowski über Thomas Mann gesagt hat: „Noch heute lese ich hin und wieder in seinen Tagebüchern.“ Am Sonntag bekommt er den Thomas-Mann-Preis der Stadt Lübeck, und dass er aus dem großen Chor der tausenden von Tagebüchern, aus denen er sein großes „Echolot“ zusammengeschnitten hat, diese eine Stimme immer noch mit Vergnügen heraushört, ist doch eine schöne Vorstellung. Aber eines gibt zum Nachdenken Anlass: der Umstand, dass ausgerechnet der Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung 1994 der erste größere Preis war, den Kempowski verliehen bekam, so steht es wenigstens in der dpa-Meldung (und bei so was ist auf die Agenturen ja meist Verlass), und dass man Kempowski trotzdem mag.

Was läuft hier schief? Ausgerechnet die Konrad-Adenauer-Stiftung, mit deren kulturellen Grundannahmen man ja so gar keine zu teilen glaubt? Es dürfte wohl an diesen eigenartigen Schwierigkeiten liegen, die man als Linker oft hat, Politik und Leben auseinander zu halten. An den Problemen, die es einem oft bereitet, anzuerkennen, dass Filme, Bücher, Platten aus den unterschiedlichsten Gründen ge- oder misslingen können und Politik nur eine kleine Möglichkeit unter vielen anderen ist. Und gerade auf der Linken gibt es immer noch dieses irgendwann einmal aus guten Gründen eingeführte Gefühl, dass Leben und Politik irgendwie zur Deckung zu kommen haben, dass man mit den Leuten, mit denen man feiern geht, irgendwie auch das Set an politischen Überzeugungen zu teilen habe – aber das führt einen nur ins Verderben und zu Gruppendynamiken, die einem ohne Not bestimmte Filme, Bücher, Platten vermiesen. Also: die andere Seite mag ihn vielleicht auch mögen. Trotzdem: Kempowski lesen.