: Studium macht psychisch krank
GESUNDHEIT Wegen Prüfungsängsten und Depressionen suchen Bremens Studierende häufiger Hilfe. Sie leiden seit Bachelor und Master unter höherem Leistungsdruck
VON ANNA GRAS
Wachsenden Zulauf verzeichnet die Psychologisch Therapeutische Beratungsstelle des Bremer Studentenwerks (PTB). 2008 nahmen 825 Studierende das Beratungsangebot in Anspruch – gut zwölf Prozent mehr als noch im Jahr zuvor. Bremen liegt damit über dem Bundestrend: Die Beratungszahlen an den Unis stiegen deutschlandweit, im Schnitt allerdings nur um knapp acht Prozent, sagt PTB-Leiterin Swantje Wrobel.
Gestiegen ist Wrobel zufolge außerdem die Zahl derjenigen, deren psychische Situation sich bereits krisenhaft zugespitzt hat. „Es kommen immer mehr Leute in unsere Beratung, die kurz vorm Zusammenbruch stehen.“ Betroffen seien Studierende aller Hochschulen und aller Fachrichtungen, so Wrobel. Und: Studierende bräuchten immer öfter schon zu Beginn ihres Studiums Beratung. Während früher viele am Ende ihres Studiums Hilfe bei der Strukturierung des Studienalltags gesucht hätten, gehe es jetzt vorrangig um Prüfungs- und allgemeine Leistungsängste, depressive Stimmungen. „Für uns steht das in Verbindung mit der Studienstrukturreform“, sagt Wrobel. Bei Bachelor- und Masterstudiengängen sei der Prüfungsdruck vom ersten Semester an hoch.
Auffallend sei auch, dass die Fälle zunehmen, die Wrobel und ihre fünf KollegInnen mit Diagnosen wie Angsterkrankungen, Depressionen oder Persönlichkeitsstörungen in stationäre oder ambulante Behandlung vermitteln müssen. Waren es 2001 – zu Beginn der Studienstrukturreform – noch 18 Prozent, brauchte im vergangenen Jahr ein Viertel der Fälle längerfristige Behandlung bei niedergelassenen PsychotherapeutInnen oder FachärztInnen.
Dabei zählen Studierende noch nicht einmal zu den Gruppen, die am stärksten von psychischen Erkrankungen betroffen sind. Unter Depressionen etwa leiden laut dem „Depressionsbericht 2008“ des Bremer Gesundheitsressorts verstärkt 40- bis 60-Jährige und Menschen über 80. Besonders häufig erkranken Menschen, deren Leben von Arbeitslosigkeit geprägt ist. Doch ausgerechnet in den sozial benachteiligten Stadtteilen und in Bremerhaven ist die psychotherapeutische und psychiatrische Versorgung besonders schlecht.
Mehr Prävention und verlässlichere ambulante Hilfen wurden gestern beim Bremer Beitrag zum „Welttag der seelischen Gesundheit“ gefordert. „Es sollte kein Unterschied sein, ob jemand am Bein oder an der Seele erkrankt ist“, sagte Friderun Thompson vom Forum für Psychatrie-Erfahrene „Irrturm“.
Eine „neue Phase der Politisierung der Psychiatrie“ kündigte Bürgermeisterin Karoline Linnert (Grüne) an. „Wenn die Psychiatrie die Menschen für diese Glitzerwelt fit machen will, kann sie nur scheitern“. Betroffene forderte Linnert auf, sich stärker einzubringen. „Wir in der Politik wissen etwa, dass Armut nicht gut tut“, sagte sie, „,was es genau für Menschen bedeutet, zur Bagis zu gehen, wissen wir aber nicht“. Dabei liege die im Verantwortungsbereich der Poltik. „Da wüsste ich gerne, wie die Bagis arbeiten müsste, damit bei den Menschen keine Gefühle von Wertlosigkeit und Ohnmacht aufkommen“, so Linnert.