: Der Zorn der Götter
REGENWALD Die Journalistin Natalie Righton und der Fotograf Ton Koene besuchten vier Erdteile und befragten Kinder nach ihren Erfahrungen mit dem Klimawandel Teil 1: Der Indianer Tepkatsie Suya (11 Jahre) über wütende Wettergötter, Abholzung und Sonnenbrand beim Tauchen
■ Heimat: Der Amazonas ist ein Stück Regenwald in Südamerika, etwa so groß wie Europa. Ein Fünftel von ihm wurde bereits abgeholzt.
■ Bewahrung: Nicht allein für die Indianer ist es von Bedeutung, dass die Bäume nicht gefällt werden. Es geht auch darum, die Erderwärmung zu stoppen. Denn die Bäume können das Treibhausgas Kohlendioxid speichern. Je mehr Bäume gefällt werden, desto mehr Treibhausgas wird freigesetzt.
■ Gefahr: Treibhausgase wie Kohlendioxid bilden eine Art Schicht, durch die die Sonnenstrahlen, die auf die Erde fallen, nicht mehr entweichen können. Dadurch wird die Erde immer wärmer.
VON NATALIE RIGHTON (TEXT) UND TON KOENE (FOTOS)
Wir Indianer fürchten nichts, außer den Sonnengott und den Regengott. Die beiden können bestimmen, wie warm es im Wald ist und wie viel Regen fällt“, sagt Tepkatsie. Die Indianer, mit denen er im Urwald lebt, denken, dass die Götter echt böse auf sie sind. „Denn seit zwei Jahren läuft alles schief. Die Ernte missriet, es regnet zu viel, und es ist zu warm,“ sagt der kleine Indianer.
Tepkatsie lebt mit seinen Eltern, seinen Brüdern, der Schwester und 300 Indianern in einem Dorf im Urwald. Es liegt mitten im Dschungel, verborgen zwischen Bäumen, durch die Affen toben und grüne Papageien fliegen. Tepkatsie: „Es gibt noch viele andere Tiere, zum Beispiel Panter, Krokodile und Schlangen. Die jagen wir, um sie zu essen.“
Jeden Tag geht er mit Pfeil und Bogen auf die Pirsch, um Tiere zu fangen. „Ich bin zwar erst elf, aber trotzdem fange ich fast jeden Tag vier Vögel.“ Als Beweis trägt er Kopfschmuck mit den Federn der Papageien, die er selbst geschossen hat.
Genau wie alle anderen Indianer kann Tepkatsie alle Tiergeräusche des Waldes gut nachmachen. „Wenn Indianer einander rufen, dann benutzen wir nicht den Namen vom anderen, sondern tun das, indem wir den Ruf eines Tiers imitieren. Ein Eulenruf bedeutet: „Alle versammeln!“. Wenn wir einander bei der Jagd im Wald verlieren, dann machen wir Affen nach. Das bedeutet: ‚Huhu, ich bin hier!‘ “
In Vorbereitung auf die Jagd malt Tepkatsie seinen Körper mit rotem Beerensaft an. „Das machen wir nicht nur, weil wir es hübsch finden. Es soll auch den Tieren Respekt einflößen und Mücken abhalten, die stehen nämlich nicht auf Beerensaft.“
Tepkatsie findet sein Leben im Dschungel eigentlich perfekt. Es gibt nur zwei Dinge, die ihm Sorgen bereiten: die Wettergötter und die Abholzung. „Am Rand meines Dorfs ist kein Baum mehr zu sehen, kein Affe oder Papagei. Der ganze Wald wurde vom weißen Mann abgeholzt“ sagt er. „Sie verkaufen das Holz oder brennen alles nieder, damit sie Soja pflanzen können.“ Tepkatsie hat Angst, dass der Urwald bald nicht mehr groß genug zum Jagen ist und dass die Indianer verhungern könnten oder wie die weißen Menschen in der Stadt wohnen müssen. „Der Wald ist der Supermarkt von uns Indianern. Wie brauchen ihn, um zu überleben.“
Tepkatsies Vater sagt, dass die Weißen auch die Flüsse versauen, indem sie chemischen Abfall dort hineinschmeißen. Tepkatsie: „Ich verstehe das überhaupt nicht. Wir waschen uns doch im Fluss und trinken das Wasser!“ Das Stammesoberhaupt der Indianer versteht es auch nicht. Er spricht regelmäßig mit den weißen Bauern, „aber der weiße Mann hört meistens nicht zu“, sagt er.
TEPKATSIE SUYA
Die Indianer sind absichtlich an den Rand des Urwalds gezogen, in die Nähe der Anbauflächen der weißen Bauern. „Ich habe meinen Vater schon mal gefragt, warum wir nicht tiefer in den Wald ziehen. Dann hätten wir keine Probleme mit den Bauern, die chemischen Abfall in unsere Flüsse kippen und unsere Bäume fällen“, sagt Tepkatsie. „Aber mein Vater meint, dass die weißen Bauern dann einfach weiter alles abholzen, bis sie wieder am Rand unseres Dorfs ankommen. Also wohnen wir am Rand des Dorfs, um den weißen Mann in Schach zu halten.“
Abends sitzen die Männer in Tepkatsies Dorf zusammen am Lagerfeuer und besprechen ihre Probleme. „Die älteren Indianer sprechen viel darüber, dass die Ernte dieses und letztes Jahr missglückt war. Sie sagen, dass der Regengott wütend ist“, sagt Tepkatsie. Früher hörte es im April auf zu regnen. Dann, so wussten die Indianer, konnten sie damit anfangen, ihr Land umzupflügen und Pflanzen anzubauen. Jetzt ist alles anders, und es regnet sogar im Mai noch im Urwald. Tepkatsie: „Letztes Jahr ist durch das ganze Durcheinander die Ernte missglückt, und wir hatten einfach nicht genug zu essen.“
Auch der Sonnengott ist wütend, glauben die Indianer, weil es im Urwald viel wärmer ist als früher. „Wenn ich zum Fluss fischen gehe, dann sagt mein Vater, ich solle aufpassen, dass ich mich nicht verbrenne. Aber selbst wenn ich tauche, kriege ich einen Sonnenbrand auf dem Rücken. Mein Vater meint, das sei früher nie vorgekommen.“ Die Indianer glauben, dass die Wettergötter Rache nehmen an den Menschen. Und vor allem an den weißen Menschen, die mehr Bäume fällen, als sie zum Überleben brauchen. Tepkatsie: „Die alten Indianer sagen, dass weiße Menschen die Natur provozieren und dass dies ihre Art ist zurückzuschlagen. Es ist die Rache der Natur.“