Forscher: Amokläufe sind vorhersehbar

SCHULMASSAKER Nach Erscheinen einer US-Studie fordert der Soziologe Klaus Hurrelmann eine „sensible Suche nach Frühwarnsignalen“. Es dürfe jedoch „keine Verdächtigungskultur“ entstehen

BERLIN dpa/taz | Viele Amokläufe an Schulen könnten nach Ansicht des Soziologen Klaus Hurrelmann verhindert werden. „Alle bisherigen Täter haben ihre Taten lange vorbereitet, manchmal über Jahre, meist über Monate“, sagte Hurrelmann. Am Freitag präsentierte er in Berlin das Buch „Amok im Kopf. Warum Schüler töten“ des US-Psychologen Peter Langman. „Wir müssen auf sensible Suche nach Frühwarnsignalen gehen“, sagte Hurrelmann, der das Vorwort zu der Studie verfasst hat.

Langman hat über mehr als 20 Jahre hinweg Amokläufe an Schulen untersucht und dazu Tagebücher und Gesprächsprotokolle ausgewertet. Er fand heraus, dass sich die Täter in drei Gruppen einteilen lassen: Psychopathen mit einem extrem ausgeprägten Narzissmus, psychotische Täter mit Wahnvorstellungen und traumatisierte Amokläufer mit Gewalt- oder Missbrauchserfahrungen. „Viele halten sich für Versager und beneideten ihre Kameraden, die glücklicher und erfolgreicher zu sein schienen. Dieser Neid verwandelte sich oft in Mordfantasien,“ so Langman.

Schulmassaker seien jedoch zu komplex, als dass man sie einer einzigen Ursache zuschreiben könnte. „Es gibt vieles, was wir nicht wissen.“ Weder Depressionen, noch der Zugang zu Waffen, Außenseitertum oder Gewalt in Medien könnten Schulmassaker hinreichend erklären.

Hurrelmann, wies jedoch darauf hin, „dass die Täter Spuren hinterlassen, die wir erkennen und richtig deuten müssen.“ Deshalb seien Amokläufe „schon jetzt potenziell vorhersehbar.“ Gerade die Bezüge zum Innenleben der meist männlichen Täter spiegelten sich nach außen wider. Dazu könnten Selbstmordgedanken, Morddrohungen oder ein Interesse an Schulamokläufen gehören. „Eine einzelne Auffälligkeit reicht aber nicht für eine Gefährdung aus.“ Es gehe auch nicht darum, jeden Schüler, der auf auffalle, als potenziellen Amokläufer abzustempeln. „Wir dürfen keine Verdächtigungskultur schaffen, sondern müssen für bessere Kommunikation sorgen.“

Experten sprechen laut Hurrelmann von rund 100 Schulamokläufen seit 1974 in den USA, Deutschland und anderen Ländern. Dabei sei die Zahl in den vergangenen fünf Jahren deutlich schneller gestiegen. Erst vor wenigen Wochen warf ein 18-Jähriger im mittelfränkischen Ansbach Molotow-Cocktails auf seine Mitschüler. Im März erschoss der 17-jährige Tim K. in Baden-Württemberg 15 Menschen und sich selbst.