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Archiv-Artikel

NRW umarmt Chemiekonzerne

Europaminister Michael Breuer will die geplante Chemie-Richtlinie der EU aufweichen. Ins Labor sollen seiner Meinung nach nur noch Stoffe, mit den Verbraucher vorrangig in Berührung kommen

VON RALF GÖTZE

Für eine deutliche Aufweichung der geplanten EU-Chemienovelle spricht sich NRW-Europaminister Michael Breuer (CDU) aus. Der aktuelle Gesetzesentwurf der so genannten REACH-Richtlinie sei ein „Jobkiller“ für die 150.000 Beschäftigte in der nordrhein-westfälischen Chemieindustrie. Im gleichen Atemzug bezeichnete Breuer die Forderung des grünen Bundesumweltminister Jürgen Trittin nach einer weiteren Verschärfung als wirklichkeitsfremd.

Obwohl sich der NRW-Europaminister als Vermittler zwischen Wirtschaft und Verbrauchschutz sieht, lesen sich seine Vorschläge wie die Wunschliste des Verbandes der chemischen Industrie (VCI). Die Prüfung der Stoffe soll aus seiner Sicht nach dem Risikoprinzip erfolgen – also nach der Wahrscheinlichkeit des Verbrauchers, mit einer Substanz in Berührung zu kommen. Chemikalien stecken heutzutage nicht nur in Kunststoffen und Lacken, sondern in zahlreichen Textilien, Imprägnierungen oder Ledergerbungen. Nach dem bisher geplanten Mengenprinzip, das eine Prüfung ab tausend Kilogramm vorsieht, müssten 30.000 aktiv genutzten chemischen Verbindungen ins Testlabor. Mit dem Risikoansatz, den die CDU unterstützt, wären es laut VCI-Angaben lediglich 5.000.

„Die CDU kopiert hier eins zu eins die Position eines Lobbyverbandes“, sagt der umweltpolitische Sprecher der NRW-Grünen Johannes Remmel. Auf Kritik stößt auch Breuers Vorschlag, die Mindestmengen, ab wann Stoffe prüfungspflichtig sind, weiter anzuheben. „Niegdrigvolumig und hochgiftig sind schließlich keine Gegensätze“, kommentiert der zuständige Sprecher der NRW-Verbraucherzentrale, Rolf Buschmann, solche Gedankenspiele. „Der getroffene Kompromiss zwischen Herrn Trittin, IG BCE und VCI ist für uns gerade noch vertretbar“, sagt Buschmann, der bei einer weiteren Aufweichung den eigentlichen Sinn der Richtlinie – den Verbraucherschutz – in Gefahr sieht. Das Bundesumweltministerium sieht ebenfalls keinen Grund nach bereits erzieltem Konsens weiter zu diskutieren.

Dennoch sind die Weichen in Brüssel bereits auf Auflockerung gestellt. Über 5.000 Änderungsanträge heften am eigentlichen Entwurf – ein kniehoher Papierstapel geronnener Bürokratie. „Das kann man nicht mehr in Seiten beziffern, sondern besser in Kilogramm“, sagt Breuer abwertend. Sein CDU-Parteikollege Karl-Heinz Florenz sieht das nicht so pessimistisch. „Da steckt genug Potenzial für eine gute REACH-Richtlinie drin“, schätzt der Vorsitzende des EU-Umweltausschusses die Situation ein. „Gut“, bedeutet aus seiner Sicht das von der Wirtschaft favorisierte Risikoprinzip. Allerdings sollten dabei die Interessen mittelständischer Unternehmen stärker berücksichtigt werden. „Der aktuelle Entwurf belohnt im Endeffekt die großen Konzerne, weil die Prüfverfahren für kleine Betriebe zu teuer sind“, sagt Florenz. Ein Indiz dafür, dass sich die mittelständischen Chemie-Unternehmer nicht allein auf den VCI verlassen, ist das eigens für die REACH-Richtlinie gegründete Aktionsbündnis „Einspruch“ mit 240 Mitgliedsbetrieben. Diese wenden sich massiv gegen den bereits geschlossenen Kompromiss, weil die Prüfungkosten für ihre Produktionsmengen zu kostenintensiv seien.

Trotz solcher Einwände kommt eine generelle Ablehnung der Richtlinie auch bei den Gegnern der bisherigen Fassung nicht in Frage. Lediglich Tierschutzverbände wenden sich komplett dagegen, weil sie einen sprunghaften Anstieg von Tierversuchen befürchten. Ansonsten herrscht zwischen Politik, Verbraucherschutzverbände und Industrie Einigkeit, dass eine neue Rechtsgrundlage kommen muss. Die bisher in den Vereinigten Staaten praktizierte Alternative einer Produkthaftung in Millionenhöhe sei weder für Unternehmen noch Konsumenten hilfreich. Doch egal wie stark oder schwach die neue Regelung nach den abschließenden Beratungen im Herbst ausfallen wird, gegen ungeprüfte Importe außerhalb der Europäischen Union, wie etwa Kinderspielzeug „Made in China“ mit verbotenen Weichmachern, kann sie nichts ausrichten.