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Archiv-Artikel

„Blöde Sprüche gibt es immer mal“

Daniela Borchardt

Einer hat mir schon mal ein Eis ins Gesicht geschmissen. Das passiert. Oder ein Typ wirft seine Pommes quer über alle Sitze und schreit: „Das haste davon, jetzt kannste deinen Bus sauber machen!“ Und haut dann abIch pieke ja auch gerne. Einen, der muffelig einsteigt, frage ich auch schon mal: „Haben Sie was gesagt?“ Und schiebe dann hinterher: „Ich dachte, Sie hätten sich bedankt, weil ich noch mal gehalten habe“

Der Arbeitsplatz von Daniela Borchardt wiegt 18 Tonnen, ist über vier Meter hoch und rollt. Ein ganz normaler Doppeldeckerbus eben. Die 39-jährige Busfahrerin arbeitet seit fünfzehn Jahren für die Berliner Verkehrsbetriebe. In Reinickendorf geboren, lebt sie heute noch im Märkischen Viertel und blickt jeden Tag aus dem Cockpit auf die Stadt – was viel offenbart. Einsteigen bitte und gut festhalten: Ein Gespräch über pöbelnde Fahrgäste, unbequeme Synthetikuniformen und die Angst vor dem Verfahren.

von ULRICH SCHULTE

taz: Frau Borchardt, wann fahren Sie an einem Montagmorgen los?

Daniela Borchardt: Um 3 Uhr 57. Aber es fährt auch schon ein Bus um 3 Uhr 33 vom Betriebshof im Wedding.

Wie läuft so ein Morgen ab?

Ich bin zehn Minuten vor Dienstbeginn hier auf dem Betriebshof und melde mich an. Falls ich – oder ein anderer Kollege – krank bin, gibt es immer zwei, drei Liberos, die zur Not einspringen. Ich bekomme eine Mappe mit den Fahrzeiten mit, da sind auch die Busschlüssel drin.

Wann erfahren Sie, welche Strecke Sie fahren?

Einen Tag vorher frage ich im Betriebshof an und bekomme den Dienst für den nächsten Tag. Man muss sich täglich erkundigen, weil oft umgestellt werden muss – wegen Krankheit, Ersatzdienst, Umleitungen und so weiter.

Haben Sie eine Lieblingslinie?

Na ja, auf den Linien fahren ja bestimmte Bustypen – das spielt da mit rein. Klar, der 222er fährt schön durchs Grüne nach Tegel raus, eine Ausflugslinie. Ist aber leider ein Doppeldecker. Xer, die Expresslinien, fahre ich gern, weil ich da nicht so oft halten muss.

Warum ‚leider ein Doppeldecker‘?

Im Sommer werden die tierisch heiß, weil sich die Hitze in der Fahrerkabine staut. Außerdem gibt es noch die kleinen 15-Meter-Busse und die Schlenkis, also die Gelenkbusse. Die haben alle eine Klimaanlage.

Fährt sich ein Schlenki anders als ein 15-Meter-Bus?

Klar. Zwar haben alle die gleiche PS-Zahl, so um die 200. Aber der 15-Meter-Bus schert mit dem Hinterteil beim Abbiegen ungefähr 1,50 Meter aus. Da muss man vorsichtig sein: Wenn man an einer Ampel voll einschlägt, kann das schon mal das Auto daneben weghauen. Der Schlenki mit seiner Knickvorrichtung zieht ganz brav hinterher.

Zu den klassischen Berufen, die Kinder sich wünschen, gehört auch Busfahrer. Wie sind Sie dazu gekommen?

Gelernt habe ich Verkäuferin, ich war bei Bolle. Mit der Zeit übernahm ich mehr und mehr Aufgaben, die sonst nur ein Filialleiter macht. Dann habe ich irgendwann beim Chef angeklopft: Freund, wie sieht’s aus, ich möchte mehr Geld. Er hat sich lange gewunden, nun, und dann musste ich mir was anderes einfallen lassen. Zuvor hatte ich im Urlaub Leute getroffen, die bei der BVG Bus fuhren. Deshalb bin ich mit 23 Jahren zu den Verkehrsbetrieben gegangen, das war am 7. Februar 1990.

Wie wird aus der Verkäuferin eine Busfahrerin?

Die Schulung hat vier Monate gedauert, jeden Tag drei Stunden Theorie und fünf Stunden Praxis. Anfangs habe ich mir oft gedacht: Holla, wo bist du denn hier gelandet? Einspritzanlage und Dieselmotor, wie funktioniert der Kolbenhub, das war sehr stressig für mich, vielleicht fällt Männern das leichter.

Wie viele Frauen waren in Ihrem Lehrgang, als Sie angefangen haben?

Wir waren zu dritt.

Haben Sie dumme Sprüche zu hören bekommen?

Nö. Es gab eher die Reaktion: Hey, endlich mal ein Mädel dabei. Klar, es ist ein komisches Gefühl, wenn du anfangs in die Kantine gehst und dann sitzen da hundert Männer. Aber auch die gestandenen Busfahrer haben einen toll aufgenommen. Jeder hilft jedem.

Reagieren Fahrgäste besonders? Ich denke an Sätze wie ‚Frau am Steuer – Ungeheuer‘.

Viele freuen sich, die fahren gern mit einer Frau. Manche bedanken sich sogar nach der Fahrt. Aber blöde Sprüche gibt es immer mal wieder, kriegen Männer aber genauso. Wenn man etwas zu hart bremst, kommt von hinten ganz flott: „Jahaha, die hat schon wieder einen Stein an’n Fuß jebunden.“

So sind sie, die Berliner.

Eben. Wenn ich an der Bushaltestelle nur einen Meter zu weit vorfahre, heißt es gern: „Können Se nich sehen, ick steh hier!“ Tja, die haben eben den falsch parkenden Pkw nicht im Blick. So was muss ich wegstecken. Schublade zu und gut. Aber ich muss sagen, ich finde den Beruf schon ziemlich stressig.

Was ist das Anstrengendste?

Die Tatsache, dass ich jede Sekunde aufpassen muss. Acht Stunden voll da sein, das ist wirklich anstrengend.

Sitzt Ihnen die Uhr sehr im Nacken?

Die Zeit fährt immer mit. Auf bestimmten Routen weiß ich genau, da habe ich nur vier Minuten zum Wenden. Wenn ich auf Klo muss, gehört da schon etwas Planung dazu.

Und dann müssen Sie – durch den wieder eingeführten Vordereinstieg – auch noch alle Tickets abnicken …

Wobei das ein Vorteil ist. Ich weiß so genau, wer hinter mir sitzt. Früher habe ich gar nicht mitbekommen, wenn ein Besoffener hinten eingestiegen ist. Solche Leute habe ich jetzt besser im Blick. Ich hab zum Beispiel die Chance, mal zehn Sekunden mit dem Anfahren zu warten, bis er sich hingesetzt hat.

Verfährt sich eine Busfahrerin eigentlich auch mal?

Natürlich, wir fahren ja nicht nur Stammlinien. Ich melde mich zum Beispiel für Ersatzverkehr, dann sehe ich ab und zu was Neues. Nur kenne ich mich in Marzahn eben nicht aus. Auf dem Betriebshof kriege ich nur ein Blatt mit ein paar Straßennamen, und dann geht es los. Ich frage dann einfach die Fahrgäste, die kennen sich aus. Was aber nicht passieren sollte, ist mit einem Gelenkbus in eine Sackgasse zu fahren.

Weil man nicht mehr rauskommt.

Richtig. Rangieren dürfen wir nur mit Einweiser. In manchen Situationen steige ich deshalb schon mal aus und gucke, ob der Straßenname stimmt. Mit einem Auto drehe ich und fahre zurück. Mit einem Bus nicht. Viele Busfahrer haben Angst davor, in Gegenden zu fahren, wo sie sich nicht auskennen.

Haben Autofahrer noch Respekt vor Bussen?

Manche ja, manche fahren wie die Verrückten – auf der linken Spur fahren, trotzdem rechts abbiegen und den Bus schneiden, kein Problem. Vor zwei Wochen hatte ich einen richtig schlimmen Unfall. Links neben mir fuhr ein Sattelschlepper für Autotransporte, die obere Ebene des Anhängers war abgesenkt. An einer Ampel biegt er links ab, übersieht mich, der Hänger schwenkt aus und haut mir in die Seite rein. In meinen Bus war ein eineinhalb Meter langer Riss gefräst. Bei einem ähnlichen Unfall ist vor kurzem einer Frau der Arm abgerissen worden. Na ja.

Na ja? Und dann?

Der Lkw-Fahrer hat das gar nicht gemerkt. Ich bin hinterher gerannt und hab gepfiffen. Als er rausguckte, meinte ich: „Übrigens, Sie haben mir gerade ein Loch in den Bus geschnitten.“

Solche Erlebnisse machen einen doch fertig, oder?

Wenn’s danach ginge, hätte ich schon nach einem Jahr aufhören müssen. Da ist mir an einer Endhaltestelle einer mit 70 Klamotten reingehauen. Riesenloch, Öl ist hinten rausgelaufen, der Autofahrer war nicht mehr ansprechbar. Da kamen alle: Notarzt, Feuerwehr, BVG-Abschleppwagen, Verkehrsmeister. Zum Glück hat der Mann überlebt, aber danach hatte ich einen Flattermann.

Wie gehen Sie mit so etwas um?

Ich habe mich zwei Wochen krank schreiben lassen. Das sind Sachen, die man nie vergisst. Etwas hartgesotten zu sein, gehört aber dazu.

Summieren sich auch kleine Frusterlebnisse auf? Einer meckert, wegen dem kommen Sie später los, beim nächsten Stopp meckern alle …

Ich überspiele schon viel. Etwas Frust nehme ich auch mit nach Hause, denn an den Fahrgästen kann ich es nicht auslassen. In der Regel gilt aber: Wenn man nett ist, kommt es auch nett zurück.

Ist das wirklich so?

Wie gesagt, in der Regel schon. Ich pieke ja auch gerne. Einen, der muffelig einsteigt, frage ich auch schon mal: „Haben Sie was gesagt?“ Und schiebe dann hinterher: „Ich dachte, Sie hätten sich bedankt, weil ich noch mal gehalten habe.“

Viele Ihrer Kollegen berichten, dass Übergriffe wie Spucken, Pöbeleien oder gar Tätlichkeiten zunehmen.

Würd’ ich nicht sagen. Was aber oft vorkommt: Leute reagieren aggressiv, wenn ich sie bei etwas Verbotenem ertappe. Wenn jemand zum Beispiel mit der Pommestüte in der Hand einsteigen will oder mit einem ungültigen Fahrschein. Dann werden sie launig und maulig.

Was machen Sie dann? Angenommen, ein Mann packt drei Sitze hinter Ihnen einen Döner aus?

Das rieche ich sofort. Das ist rücksichtslos gegenüber den anderen Fahrgästen. Und als Busfahrerin müsste ich mir die Gerüche acht Stunden in die Nase ziehen. Also bei mir packt der Typ den Döner wieder ein. Oder lässt ihn draußen – und isst draußen weiter.

Und wenn der Typ nicht will?

Na ja, wenn ich ihn ruhig über Lautsprecher anspreche, mischen sich oft sogar andere Fahrgäste ein und helfen. Natürlich ist wichtig, auch mal Fünfe gerade sein zu lassen. Einen Jugendlichen, der nur eine Station mitwill und sein Eis fast auf hat, schmeiße ich nicht raus.

Was war Ihre kritischste Situation?

Einer hat mir schon mal ein Eis ins Gesicht geschmissen. Das passiert. Oder ein Typ wirft seine Pommes quer über alle Sitze und schreit: „Das haste davon, jetzt kannste deinen Bus sauber machen!“ Und haut dann ab. Dass ich jetzt eigentlich zum Hof fahren und einen neuen Wagen holen müsste, kapiert der gar nicht. Bei solchen Geschichten ist der Austausch mit Kollegen wichtig. Wir bereden so etwas natürlich auf dem Betriebshof. Früher hatte man ja auch noch an der Endhaltestelle Zeit für einen Plausch.

Diese Wendezeiten wurden in den letzten Jahren drastisch gekürzt.

Stimmt, oft muss ich direkt durchfahren. Dafür haben wir jetzt Blockpausen von einer halben Stunde. Die bringt aber auch kaum was, weil ich ja immer die schwere Tasche mit rumschleppe. Und wo soll ich mich bei 30 Grad mit diesen Sachen hinsetzen?

Ist die Uniform aus Synthetik?

Ein Gemisch. Polyester und irgendwas.

Im Sommer ist das doch grausam?

Ich trage ein Baumwollhemd drunter, damit man die Schwitzflecke nicht sieht. Aber manchmal ist die Bluse nass. Klitschnass! Eklig ist das. Deshalb, die Busse mit Klimaanlage haben einiges für sich. Auch Getränke, die man morgens mitnimmt, werden schnell warm. Nur in den neuesten Bussen gibt es kleine Kühlschränke, in die genau eine Literflasche passt.

Na, das ist doch nicht schlecht.

Auch sonst kann man sich helfen. Zu Hause lege ich Plastikflaschen mit stillem Wasser in die Tiefkühltruhe. Die platzen nicht. Selbst in den heißen Kisten habe ich dann vier, fünf Stunden kühles Wasser, weil das Eis langsam schmilzt.

Was ist Ihr Ausgleich, wenn Sie den ganzen Tag hinter dem Steuer sitzen?

Sport ist meine Leidenschaft. Ich spiele Handball und habe selbst Aerobic-Kurse gegeben. Alles was mit Bewegung zu tun hat, da bin ich dabei.

Seltsam, dass Sie sich letztlich für diesen Sitzberuf entschieden haben.

Das stimmt. Aber wenn ich mir jetzt die Arbeitslage ansehe, bereue ich das auf keinen Fall. Wie in jeder Firma ist es bei uns schlechter geworden, aber wir sind im Vergleich mit anderen gut dran.