LESERINNENBRIEFE :
Nur noch eine afp-Meldung wert?
■ betr.: „Der Evergreen“, taz vom 25./26. 8. 12
Heute schreiben Sie über Jürgen Trittin: „Trug dieser Mann nicht mal Lederjacke und Schnauzbart? Und protestierte in den Wäldern von Gorleben? […] Zwischen den grauen Anzügen auf Euro-Gipfeln fällt er nicht mehr auf.“ Darauf muss ich Ihnen leider antworten: Haben Sie als taz nicht mal Aktionen gegen große Schweinereien auf die Titelseite gebracht? Zum Beispiel Proteste und Blockaden in Gorleben? Die Besetzung einer Ölplattform in der Arktis ist Ihnen offenbar nur noch eine afp-Meldung auf Seite 2 wert. HERBERT HEMKE, Berlin
Verhinderung von Totalitarismus
■ betr.: „Lieber gar kein Bekenntnis“, taz vom 23. 8. 12
Es klingt ja plausibel: In einem säkularen Staat wird in der Schule über Religion sachlich informiert, von LehrerInnen, „über deren Eignung alleine der Staat entscheidet“, wie Pascal Beucker schreibt. Siebenundsechzig Jahre nach dem letzten totalitären Regime in Deutschland scheint es selbst unter taz-Redakteuren kein Bewusstsein mehr zu geben für den in der Geschichte Deutschlands teuer erkauften Gedanken einer staatlichen Selbstbeschränkung, der sich im Religionsunterricht ausdrückt: Dass es auf deutschem Boden niemals mehr möglich sein soll, dass ein Staat die Totalkontrolle über den Unterricht an Schulen gewinnt, sondern dass er in einem Akt bewussten Machtverzichtes einen Unterricht finanziert, dessen Lehrinhalte er selbst nicht bestimmt.
Was für eine Errungenschaft staatlicher Selbstreflektion! Dass der Religionsunterricht der Einzige ist, der im Grundgesetz Erwähnung findet, hat nicht so sehr etwas zu tun mit der Bewahrung kirchlicher Macht, wie Herr Beucker schreibt, sondern vor allem mit der Verhinderung eines staatlichen Totalitarismus.
Jürgen Habermas trat 2001 auf seiner Rede anlässlich der Verleihung des Friedenspreises in Frankfurt für eine religiöse Musikalität ein, ohne die man die eigene Geschichte nicht versteht. Wird man aber in einem Instrumentekundeunterricht musikalisch? Und kommt man in einem Ethikunterricht, wie er Herrn Beucker vorschwebt, in Berührung mit Religiosität? FRANK MEHNERT, Hamburg
Lieber einen Pfaffen mehr im Boot
■ betr.: „Lieber gar kein Bekenntnis“, taz vom 23. 8. 12
Der Kommentar von Pascal Beucker trifft den Nagel auf den Kopf. Es fehlt nur ein winziger Aspekt: Es wäre sicher falsch zu glauben, die Vertreter unserer klassischen Konfessionen könnten plötzlich einen Toleranzkoller bekommen haben. Nein, um es mit einer kleinen Abwandlung von Beuckers Titel zu sagen, sie handeln nach dem Motto, lieber einen Pfaffen mehr im Boot als gar keinen. HEINZ MUNDSCHAU, Aachen
Erst nachdenken, Herr Minister
■ betr.: „Zehn kleine Ministerpläne“, taz vom 17. 8. 12
Herr Altmaier, mal darüber nachdenken, ob das immer stimmt, was Sie so sagen! Den Hartz-IV-Betroffenen eine Energieberatung schenken, damit die auch viel konsumieren und das wenige Geld für neue Geräte ausgeben. Darüber freuen sich die Hersteller und Verkäufer. Doch mit welchem Geld sollen Hartz-IV-Empfänger die Energiefresser durch neue ersetzen?
Und bevor Sie das Geld bei den Privatkunden holen, gehen Sie zu den Firmen, die über Jahrzehnte subventioniert wurden. Lassen Sie die Energiekonzerne die Kosten für den Atommüll zahlen. Fordern Sie, dass die geringeren Kosten für Strom, die aktuell festgestellt wurden, auch an die Endverbraucher weitergegeben werden. Dann hätten Sie Soziatarife für Hartz-IV-Empfänger, ohne einen solchen einzuführen. BERND THUL, Neunkirchen
Gedankenlos
■ betr.: „Gott sei Dank!“, taz vom 20. 8. 12
Gedankenloses Productplacement: Barbara Dribbusch schreibt, sie habe ein Buch auf ihren Kindle „runtergeladen“. Das klingt cooler als auf meinen „E-Book-Reader“, aber cool ist nicht alles: Wer den Kindle kauft, ist auf Amazon angewiesen: Er kann nur dort E-Books kaufen. Versperrt bleiben ihm die Angebote stationärer Buchhandlungen (Stichwort: buy local!), die Angebote von kostenlosen Klassikern und die Ausleihe bei Bibliotheken. Schlechte Produkte zu „placen“ finde ich besonders ärgerlich. SABINE GARTMANN, Bremen
Equal Pay für Deutschland
■ betr.: „Verhandlungen reichen nicht“, taz vom 20. 8. 12
Ihre Kommentatorin Eva Völpel übersieht einen wichtigen Aspekt. Die Gewerkschaften verfügen sehr wohl über gute Möglichkeiten, um die Situation von Leiharbeitern signifikant zu verbessern. Sie nutzen sie allerdings kaum, da sie in dem Moment, in dem sie sich auf ihre Prinzipien berufen und keine zweitklassigen Tarifverträge mehr mit der Branche unterschreiben, den deutschen Sonderweg in Europa beenden und die Equal-Pay-Richtlinie der EU greifen würde, wonach den Arbeitnehmern in einem Werk für die gleiche Tätigkeit dasselbe Gehalt gezahlt werden müsste.
Deshalb sollte man nicht warten, bis die Politik endlich aus den Puschen kommt, sondern selbst handeln. RASMUS PH. HELT, Hamburg