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Archiv-Artikel

In Bulgarien ist keine Regierung in Sicht

Mit dem Ausstieg der Sozialisten (BSP) aus den Koalitionsgesprächen scheitert der zweite Versuch, eine Regierung zu bilden. Doch die BSP will gleich weiterverhandeln – mit denselben Partnern. Klappt auch das nicht, steht das Land vor Neuwahlen

VON BARBARA OERTEL

Sechs Wochen nach den Parlamentswahlen herrscht in Bulgarien immer noch keine neue Regierung, dafür aber das Chaos. Noch für gestern wurde die Entscheidung der Nationalen Bewegung (NDSW) von Noch-Regierungschef Simeon Sakskoburggotski und zweitstärksten Kraft im Parlament erwartet, ihr Mandat für die Regierungsbildung zurückzugeben. Damit wäre der zweite Versuch gescheitert, eine Koalition auf die Beine zu stellen.

Das erste Mal hatte sich an dieser Aufgabe der Wahlsieger und Chef der Sozialistischen Partei BSP, Sergej Stanischew, erfolglos versucht. Zwar war er bei einer 17-stündigen Marathonsitzung am 28. Juli als neuer Regierungschef mit 120 zu 119 Stimmen bestätigt worden. Kurz darauf war jedoch sein Kabinett – eine Minderheitsregierung aus BSP und der Vertretung der Türken in Bulgarien, der Bewegung für Rechte und Freiheiten (DPS) – bei der Abstimmung knapp mit 117 zu 118 Stimmen durchgefallen. Drei Abgeordnete der nationalistischen Protestpartei Ataka, die für Stanischew gestimmt hatten, wurden aus der Fraktion ausgeschlossen.

Am Wochenende ließen die Sozialisten die Gespräche mit der NDSW platzen – eine Retourkutsche dafür, dass diese der Minderheitenregierung Stanischews ihre Unterstützung verweigert hatte. Zur Begründung sagte Stanischew, die NDSW hätte zwölf Fragen der BSP nicht zufriedenstellend beantwortet. So hatten die Sozialisten unter anderem wissen wollen, wie die NDSW zur Verbreitung von ethnischem und religiösem Hass stehe und ob sich die Partei Simeons eine Koalition unter Einschluss von Ataka vorstellen könne. Doch offensichtlich scheint das Hin und Her, hinter dem nichts anderes als ein Gerangel um Macht und Posten steht, noch nicht unwürdig genug. So kündigte Stanischew an, unverzüglich neue Koalitionsverhandlungen mit der NDSW und der DPS aufzunehmen. Als vierte Kraft könnte er noch versuchen, die rechte Bulgarische Volksunion (BNS) des Sofioter Bürgermeisters Stefan Sofianski mit ins Boot zu holen.

Dieses wäre dann wohl der letzte Versuch. Sollte er scheitern, wären Neuwahlen unausweichlich. Die fordert Ataka-Chef Volen Siderow, der unlängst einen türkischen Fotografen mit den Worten abkanzelte, in Bulgarien habe man gefälligst Bulgarisch zu sprechen, mit Nachdruck. Aus gutem Grund, denn es steht zu befürchten, dass der Parlamentsneuling Ataka, der auf Anhieb rund 8 Prozent erzielte, noch mal zulegen dürfte.

Doch ob nun Neuwahlen oder nicht: eine Empfehlung für die Europäische Union, der Bulgarien zum 1. Januar 2007 beitreten möchte, ist der Politikzirkus keinesfalls. Für den 29. August wird in Sofia ein Team von EU-Beobachtern erwartet, das die Fortschritte bei den Reformen im Justizwesen begutachten soll. Bulgarien sende falsche Signale an die EU, sagt der Experte für internationale Beziehungen und Mitglied der BSP, Ivaylo Kalfin. Und: „Die Chancen, dass Bulgarien von der EU schlecht bewertet wird, wachsen von Tag zu Tag.“