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Archiv-Artikel

Das Knistern macht uns friedlich

DOKU Der Plattensammler und DJ Paolo Campana hat einen Dokumentarfilm über die Schallplatte gedreht. „Vinylmania“ lässt Freaks, Tüftler und Schallplatten-Künstler aus aller Welt zu Wort kommen

Verrückt war die Idee der Musikindustrie, die Schallplatte durch die CD zu ersetzen

VON ANDREAS HARTMANN

Haben Sie schon einmal den Satz „Ich liebe MP3s“ gehört oder etwa „Ich liebe CDs“? Es waren bestimmt eher Sätze wie „MP3s sind so schön praktisch“ oder „CDs kann man so gut im Auto hören“. Schallplatten jedoch werden von denjenigen, die sie sammeln, geliebt. Manche sammeln sie nicht bloß, sondern entwickeln ein geradezu neurotisches Verhältnis zu ihnen. Pflegen und hegen sie, waschen sie und bügeln die Hüllen wieder glatt. Nick Hornby hat das in seinem Bestseller „High Fidelity“ beschrieben, in dem der Schallplattenladenbesitzer Robert Fleming versucht, Lebenskrisen entgegenzutreten, indem er seine Plattensammlung neu sortiert.

Auch Paolo Campana ist leidenschaftlicher Plattensammler und DJ. Er hat auf seiner Suche nach der Bedeutung der Schallplatte in Zeiten der Digitalisierung, die zu seiner wunderbaren Dokumentation „Vinylmania“ geführt hat, ein paar Typen aufgetan, gegen die Hornbys Romanheld geradezu nüchtern und pragmatisch wirkt. Darunter sind nicht nur solche, die Sätze sagen wie „Platten sind persönliche Schatzkästchen der Erinnerung“ oder „Platten sind mein Leben“. Sondern auch Freaks wie Chris, Campanas Freund aus Frankreich. Der lebt in einem Haus voller Platten, und man fragt sich, wo der Mann überhaupt schläft. Selbst auf dem Klo stapeln sich ein paar Scheiben. Ein Leben neben dem mit den Schallplatten, das sagt er selbst, bleibt da nicht. Verrückt, oder? Nicht für Regisseur Campana. Er macht uns auf seiner Reise durch die Welt der Schallplatte immer deutlicher: Verrückt war eher das Unterfangen der Musikindustrie, die Schallplatte durch die CD zu ersetzen. Verrückt sind all die Downloader, die nie eine vergleichbare Liebe zur Musik entwickeln können wie wir Schallplattensammler, die an unseren Objekten hängen.

Der Ausgangspunkt für Campanas Dokumentation ist die rhetorische Frage: „Schallplatten sind eine aussterbende Art, oder?“ Sie wird sogleich mit den Worten beantwortet: „Im Gegenteil. Sie sind sehr lebendig.“ Campana zeigt uns in allen Facetten, warum das so ist. Er trifft den DJ und Labelbetreiber Eddie Piller, einen knorrigen Alt-Mod, der über die Musikindustrie und die Downloadgeneration herzieht und natürlich sagt: „Nichts klingt besser als Vinyl.“ Ob Vinyl nun wirklich besser klingt als digitale Aufnahmen, darüber tobt ein echter Glaubenskrieg. Die Beantwortung dieser Frage ist aber nicht wichtig. Denn wenn der Plattenliebhaber vorsichtig das Vinyl aus der Hülle zieht, die Nadel putzt, sich zurück auf sein Sofa begibt und auf das Knistern des Vinyls wartet, kann es gar kein größeres Glück auf der Welt geben. Die Liebe zum Vinyl äußert sich aber auch in beinahe esoterischen Bekenntnissen wie denen des Japaners Sanju Chiba. Er hat den Laser-Plattenspieler erfunden, der ein Abspielen von Vinyl ohne Abtastnadel ermöglicht, und sagt: „Mit analoger Musik werde ich friedlich und entspannt.“

Campana leistet in seinem Dokumentarfilm aber mehr, als Plattenliebhabern in aller Welt lyrische Bekenntnisse vor ihrem Plattenschrank zu entlocken. Er zeigt, dass Schallplatten selbst Kunstwerke sind und wie mit ihnen neue Kunst entsteht. Man erlebt DJ Kentaro aus Japan, den ehemaligen DJ-Weltmeister, der atemberaubende Tricks an den Plattenspielern demonstriert, die er so nur mit Vinyl hinbekommt. Oder den englischen Avantgarde-Komponisten Philip Jeck, dessen musikalisches Werk aus manipulierten Schallplattenklängen besteht. Und wir besuchen den Designer Peter Saville in London, der in den Achtzigern bis heute prägende Cover für Bands wie Joy Division und New Order entworfen hat. Die Schönheit derartiger Artworks fängt ohne Frage keine CD ein und von der MP3 wollen wir da gar nicht erst reden.

Campana erspart uns aber auch nicht, aufzuzeigen, wie vergänglich Vinyl trotz allem ist. Irgendwann treffen wir erneut auf Chris, dem ein Wasserschaden in der Garage tausende Platten vernichtet hat. Fassungslos sehen wir mit Chris auf das Elend und können die Tränen kaum unterdrücken.

■ „Vinylmania“. Regie: Paolo Campana. Italien 2011, 75 Minuten. Ab 30. August im Lichtblick